2004-04-08
Osterschinken
lieswosgscheits
Ja liebe kärnöler und Innen, wie schnell die Zeit vergeht. Die Schneeschmelze hat voll eingesetzt und auch die Fastenzeit nähert sich ihrem Ende zu. Ich hoffe Ihr Osterschinken liegt schon seit mindestens vierzehn Tagen in einer Sur (nicht zu verwechseln mit dem grandiosen Film von Fernando E. Solanas) aus feinstem Wurzelwerk, denn spätestens am Gründonnerstag sollte Ihr Osterschinken für ein bis zwei Tage in Ihrer Selchkammer hängen um sein volles Aroma entfalten zu können.
Am Karsamstag noch vor Sonnenaufgang, spätestens wenn Sie Ihren Hausherd mit den geweihten Feuerschwämmen der durch den erwachenden Ort laufenden Kinder befeuert haben, sollten Sie Ihren Osterschinken aus der Selchkammer holen. Reinigen Sie die Oberfläche vom Ruß und geben Sie den Schinken in ein entsprechendes, mit Wasser gefülltes Kochgefäß. Je nach Gewicht (pro Kilogramm ca. eine Stunde) lassen sie den Osterschinken bei kleiner Flamme nun kochen. Es empfiehlt sich, das erste Kochwasser wegzuschütten und durch frisches zu ersetzten.
Fall Sie die Zeit des Köchelns mit einer entsprechenden österlichen Lektüre überbrücken wollen empfehle ich Ihnen das Buch „Mirjam“ von Luise Rinser (Fischer Taschenbuch, Nr. 5180). „Hier bringt eine Frau die versteinerte Männerwelt um Jesus zum Tanzen… Luise Rinser kratzt Schicht um Schicht den Lack von einem zwanzig Jahrhunderte lang übertünchten, kultischen und verkitschten, deformierten und ständig neu gekreuzigten Jesus. Sie erweckt den Mann aus Nazareth zu neuem Leben. Mirjam erinnert abendländische Christen an ihre Jesus - Vergesslichkeit.“ (Franz Alt in Die Zeit). Oder genießen Sie die Musik von Astor Piazzolla z.B. „Tangueda de Amor“.
Nachdem Sie nun Ihren Osterschinken kernig weich gekocht haben, lassen Sie ihn auskühlen. In der Zwischenzeit können sie die übrigen Speisen, wie Würste, Schweinszunge, Ostereier, Kren und Reindling für den Weihkorb herrichten. Füllen Sie ihren Weihkorb und begeben Sie sich im Sonntagsgewand mit Ihrer Familie zu den öffentlich gekennzeichneten Weihplätzen.
Die Zeit bis zum Verzehr der Osterjause – in streng katholischen Häusern erst nach der kirchlichen Auferstehungsfeier üblich – verbringen Sie am besten mit dem Film „Das erste Evangelium – Matthäus“ von Pier Paolo Pasolini. Diese gewagte Verfilmung Pasolinis aus dem Jahre 1964 war der erste Versuch, die Lebensgeschichte Jesu in einer realistischeren Form zu verfilmen. Er schuf damit als erster ein Gegengewicht zu den pompösen Hollywoodepen. Pasolini wählte als Kulisse seines Filmes die karge Landschaft Süditaliens mit ihren ärmlichen Feldern und halb verfallenen Dörfern. Er bezog auch einen Großteil der dort ansässigen Bevölkerung in die Aufnahmen mit ein. Für die Rolle der Maria verpflichtete Pasolini seine eigene Mutter Susanna.
Sollten Ihnen diese literarischen, musikalischen sowie cineastischen Menüvorschläge zu schwer verdaulich erscheinen, wünsche ich Ihnen trotzdem ein frohes Osterfest und einen guten Appetit beim Verzehr Ihrer Osterjause.
Ihre
Franziska Zentrich