2003-10-10
Straße N113
Mein Tagebuch vom Leben auf der Strasse
An irgendeinem Samstag in Frankreich auf der Fahrt nach Spanien auf der N113 von
Salon-de-Provence in Richtung Nimes.
Die Bäuche vom Mittagessen voll, welches sich seit zirka halb zwölf mittags über fünf
Stunden hinzog, gingen wir mit dem vom Rotwein leicht getrübten Blick zu unseren Trucks.
Gut, dass er nicht versperrt war. Bei dem Zustand, in dem ich mich befand, kann ein
Türschloss schon zu einer Aufgabe werden.
"Sie kocht schon verdammt gut, die Jugoslawin" murmelte ich mehr rülpsend als sprechend in
mich selbst hinein, während ich notgedrungen meinem Vorderreifen noch eine Dusche verpasste
und dabei genüsslich einen fahren lies.
Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, wie der "Routier´s" hier bei Raphaele les Arles
hieß. Irgendwann später zog die ganze Familie wieder nach Jugoslawien und es wurde eine
Diskothek daraus. Ein paar Jahre danach ist die ganze Bude abgebrannt. Es war ein Verlust, soviel stand fest.
"Auf zu den drei dreckigen Weibern!" lallte es durch den Funk. Es war der nächste routinemäßige Stop auf dieser Route. Auf zu den "Dreckigen", eine Kneipe kurz vor Nimes, direkt auf der N113 auf der rechten Seite, zirka auf der Höhe von Bouillargues. Besucht wurde diese Kneipe nur von wenigen Einheimischen, französischen und uns österreichischen Fernfahrern. Also gehörte die Bude uns. Das Ambiente war das Geld wert, dort einen Besuch abzustatten. Der Gastraum war Wohnzimmer, Gasthaus und Hühnerstall zugleich und war in der Mitte mit ein paar Kartons und alten Holzplatten abgetrennt. Dies stellte die Grenze zwischen den privaten und öffentlichen Raum dar. Und es kam schon vor, dass man beim Essen saß und plötzlich eine der "Hausherrinnen" fluchend die hauseigene Sau durch den Gastraum trieb, während sich der Sohn oder Bruder der von Inzucht gezeichneten Familie auf einer Leiter stehend sich am hoch im Eck hängenden Fernsehgerät zu schaffen machte, warum auch immer und in ein und demselben Moment, irgendwie in den Stromkreis geriet und dabei auf die im Schaukelstuhl schlafende Großmutter fiel.
Wochen später trug sie, die Großmutter, ihren Arm noch immer im Gips.
Die Leute hier waren vielleicht etwas seltsam, aber nach einem zweiten Besuch hat dies
niemand mehr bemerkt.
Wie man die Umstände auch beurteilen mag, hier gab es das beste Pferdesteak Frankreichs.
Wenn jemanden die Umstände nicht störten, den Namen "zu den Dreckigen Weibern" trugen sie
wahrlich mit recht und vielleicht sogar mit stolz, war man hier doch bestens aufgehoben.
Als einmal während einem unserer Gelage hier zwei Lastzüge mit Videorecorder verschwanden,
bekamen wir hier von unserem Chef ein Halteverbot auferlegt, was ich jedoch selbstverständlich,
wie auch andere Anweisungen nie befolgte.
Was geht mich die Karre an.
Im Gegensatz zu vielen Kollegen, welche ihren Truck wie eine Geliebte durch die Lande trugen,
mit einer Ausstattung versahen, dass so manches Wohnzimmer verblassen lässt, sah es in meiner
Kabine eher wie in einer Müllhalde aus. Mir war es wichtig, dass die Karre über die notwendige
"Power" verfügte, das Funkgerät mit Nachbrennern ausgerüstet war, die Musik halbwegs klang und
die acht Zusatzscheinwerfer gemäß ihrer Funktion jeden, der ihren Lichtstrahl erblickte,
hoffentlich erblinden ließen. Die romantische Vorstellung, wie teilweise vermittelt, endet
spätestens dann, wenn man eines Nachts aus einem Puff torkelt und außer dem Lenkrad ist nichts
mehr in der Kabine.
Nachdem wir bei den "Dreckigen Weibern" uns mit einigen Kaffee und "Calvados" für die letzte
Etappe gedopt hatten erreichten, wir La Jonquera an der spanischen Grenze.