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2012-12-23

KÄRNTEN – SLOWENIEN – FRIAUL - LITERARISCH. Texte

Die Kinder staunen

Ivan Cankar

Die Kinder hatten die Gewohnheit, vor dem Schlafengehen miteinander zu schwatzen. Sie saßen im Kreis um den breiten Ofen und erzählten, was ihnen gerade durch den Sinn ging. Die Abendnebel blickten mit traumschweren Augen durch trübe Fenster ins Zimmer hinein; aus allen Winkeln stiegen stille Schatten empor und weckten wunderliche Märchen.

Ja, sie erzählten alles, was ihnen gerade durch den Sinn ging, aber waren es nicht immer schöne Dinge? Aus Sonne und Wärme und zutraulicher Zärtlichkeit webten sie ihre Geschichten. Die Zukunft war ein einziger, langer, strahlender Feiertag; und zwischen Weihnachten und Ostern gab's keinen Aschermittwoch. Dort irgendwo hinter dem bunten Vorhang schimmerte und funkelte das Leben; still leuchtete es auf leuchtendem Grund.

Sie flüsterten; kaum konnte man die Worte verstehen; die Geschichten hatten keinen richtigen Anfang und auch keine deutlichen Bilder; kein Märchen hatte ein Ende. Zuweilen sprachen die vier Kinder gleichzeitig, doch ließ sich keines vom anderen beirren; denn sie alle blickten verzückt in jenes allzu schöne unirdische Licht; dort klangen die Worte glockenhell und gelöst, dort hatte jede Geschichte ihr eigenes reines Leben, ihr lichtes Antlitz, ein jedes Märchen sein prächtiges Ende.

Die Kinder waren einander so ähnlich, dass man in der Dämmerung die Züge des Jüngsten, des vierjährigen Toncek, kaum von denen der Ältesten, der zehnjährigen Loizka, unterscheiden konnte. Es waren lauter magere, kleine Gesichtchen mit großen, weit geöffneten Augen, die schwärmerisch und versonnen in die Ferne blickten.

An diesem Abend griff etwas Unbekanntes aus einer fremden Welt mit übermächtiger Hand in ihren seligen Lichtkreis; unbarmherzig verscheuchte es den Feiertag, die Geschichten und Märchen.

Die Post hatte die Nachricht gebracht, dass der Vater in Italien „gefallen“ sei; und etwas Neues, Unbekanntes, stand plötzlich vor den Kindern; fremd und unbegreiflich, groß und massig stand es da und hatte doch kein Gesicht, keine Augen und keinen Mund. Es gehörte nirgends hin; es hatte keinen Anteil an jenem Leben, das sich lärmend auf der Straße und vor der Kirche bewegte, auch nicht an jenem anderen der warmen Dämmerstunden beim Ofen; und auch mit den Märchen vertrug es sich schlecht. Heiter war es nicht, aber auch nicht sonderlich traurig; denn es lebte ja nicht, und so hatte es denn auch keine Augen, deren Blick Aufschluss geben konnte; keinen Mund, der auf das Warum und Woher Antwort gab. Scheu und verängstigt machte das Denken vor dieser ungeheuerlichen Erscheinung halt, wie vor einer mächtigen, schwarzen Mauer, die den Weg versperrt; es tastete sich an die Mauer heran, staunte - und verstummte.

„Wann kommt er dann eigentlich zurück?“ fragte Toncek nachdenklich.

Loizka warf ihm einen funkelnden zornigen Blick zu.

„Wie kann er denn zurück? Er ist doch gefallen.“

Die viere schwiegen; wieder richtete sich die schwarze Mauer vor ihnen auf, über die man nicht hinwegsehen konnte.

„Ich werde auch in den Krieg gehen“, sagte plötzlich der siebenjährige Matijce, denn es galt, flink den in dieser Lage richtigsten Gedanken beim Schopf zu packen, und vor allem musste irgend etwas gesagt werden.

„Du bist zu klein!“ warnte mit tiefer Stimme der vierjährige Toncek, der noch ein Kittelchen trug.

Milka, die kleinste und zarteste unter ihnen, die, in das viel zu große Tuch der Mutter eingewickelt, dem Bündel eines Wanderburschen glich, bat mit leiser, weicher Stimme: „Wie ist es im Krieg, sag mir das, Maticek, erzähl uns eine Geschichte“! Matijce erklärte: „Im Krieg ist es so, dass die Menschen einander mit Messern aufspießen, mit Säbeln zerhacken und mit Gewehren erschießen. Je mehr du aufspießen und zerhacken kannst, desto besser; niemand zankt deswegen mit dir - denn so soll es sein. Das ist der Krieg.“

„Ja, warum spießt denn einer den anderen auf? Warum hacken sie aufeinander los?“ Fragte Milka verschüchtert. „Für den Kaiser“, sagte Matijce und alle verstummten. In weiter Ferne sahen die geblendeten Augen eine machtvolle Erscheinung in strahlender Glorie. Sie rührten sich nicht und wagten kaum zu atmen - wie in der Kirche beim Segen.

Aber wieder gelang es Matijce, einen Gedanken zu erhaschen, der geeignet schien, die drückende Stille zu verscheuchen.

„Ich ziehe also auch in den Krieg, und ich überfalle den Feind!“

„Wie sieht der Feind aus?“ fragte Milkas dünnes Stimmchen, „hat er Hörner?“

„Freilich, die hat er, wie könnte er sonst der Feind sein“, bestätigte Toncek ernsthaft und etwas ungeduldig.

Matijce zögerte und konnte nicht gleich die richtige Antwort finden; „ich glaube, dass er keine Hörner hat“, sagte er langsam, aber es klang nicht überzeugend.

„Warum sollte er denn Hörner haben, er ist ein Mensch wie wir“, rief Loizka laut und unwillig; dann fügte sie nachdenklich hinzu: „Nur hat er keine Seele“!

Nach einer Weile fragte Toncek: „Was geschieht denn eigentlich mit dem Menschen, der im Krieg fällt, nach rückwärts fällt?“

Und er zeigte den anderen, wie man nach rückwärts fällt.

„Sie schlagen auf ihn los, bis er tot ist“, erklärte Matijce ruhig.

„Vater hat versprochen, mir ein Gewehr mitzubringen“.

„Das kann er doch nicht, er ist ja gefallen!“ sagte Loizka zornig.

„Haben sie auch auf ihn losgeschlagen, bis er tot war?"

„Bis er tot war, freilich“.

Acht junge, weit aufgerissene Augen starrten scheu in die Dämmerung, starrten in diese unbekannte Welt, die dem Herzen unzugänglich, dem Denken unbegreiflich war.

Zur gleichen Stunde saßen die beiden Alten, Großvater und Großmutter, auf der Bank vor dem Hause . Der letzte rötliche Sonnenstrahl schien durch das dunkelnde Laub in den Garten. Der Abend war still; nur vom Stall her hörte man langgezogenes, schon heiseres Schluchzen; dort war wohl die junge Mutter hingegangen, um das Vieh zu füttern.

Die beiden Alten saßen tief gebückt, dicht aneinander geschmiegt und Hand in Hand; das war schon lange nicht mehr geschehen; mit tränenlosen Augen blickten sie in den verdämmernden Glanz des Abendhimmels und sprachen kein Wort.

Quelle: Ivan Cankar, Der Knecht Jernej, 1970 Volksbuchverlag Wien.


Ivan Cankar
Geb. am 10. Mai 1867 in Vrhnika bei Ljubljana, gest. am 11. Dez. 1918 in Ljubljana.

Cankar entstammte einer kinderreichen Familie. Nach der Matura ging Cankar nach Wien, um an der Technischen Universität ein Studium zu beginnen, wechselte aber bald zu Romanistik und Slawistik.

Cankar blieb bis 1909 in Wien, wo er vom Schreiben diverser Feuilletons und von Bekannten, die ihn unterstützten, lebte. Cankar gilt als erster slowenischer Berufsautor. Er schrieb sowohl Feuilletons für die slowenischsprachigen Tageszeitungen Slovenec und Slovenski narod, als auch für die deutschsprachigen Zeitungen. In seiner Wiener Zeit schrieb er einen Gutteil seines Gesamtwerkes.

Cankar gilt als bedeutendster slowenischer Autor der Moderne. Sein Gesamtwerk umfasst 30 Bände, vorwiegend Prosa, daneben aber auch Dramen und Gedichte. Das bekannteste Buch Cankars wurde seine Erzählung „Der Knecht Jernej“ , das in nahezu alle europäischen Sprachen übersetzt wurde.

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