kärnöl-Logo Independent Carinthian Art & Cult
Tue Apr 23 2024 07:33:35 CET
ÜBERBLICK
Aktuell
Glossen
+Alle Beiträge
Autoren
Veranstaltungen
Links
Kontakt
LESERFORUM
Leserbriefe
Reaktionen

Globale Bildung im Bündnis für Eine Welt

r Globale Bildung
im Bündnis für Eine Welt

Krise - Themenschwerpunkt 2009

r Unser aktueller Themenschwerpunkt

www.karawankengrenze.at

r Unser Projekt gemeinsam mit dem Verein Erinnern

Nationalsozialismus in Villach

r Hans Haider:
"Nationalsozialismus
in Villach"
(pdf downloaden)

Jüdinnen und Juden in Kärnten

r Hans Haider:
"Jüdinnen und Juden
in Kärnten"
(pdf downloaden)

Pizzakarton Sgt kärnöl´s Lonely Hearts Club Band

r Nähere Informationen zum schönsten Pizzakarton der Welt

WASSER? - Jetzt gehts um die LEITUNGSKOMPETENZ!

r WASSER?
Jetzt gehts um die LEITUNGSKOMPETENZ!

Bildung - Themenschwerpunkt 2007

r Unser Themenschwerpunkt 2007

(c) Arbeit

r Alle Informationen zum Themenschwerpunkt Arbeit

(c) Eigentum

r Unser Themenschwerpunkt Eigentum
r Überblick über alle Themenschwerpunkte

Erwin Köstler

Reaktionen auf den Beitrag

Print Version

2004-06-30

Brane Mozetič: Schattenengel

Aus dem Slowenischen von Andrej Leben. Passagen Verlag, Wien 2004, 124 Seiten. Eine Rezension von Erwin Köstler

Man sollte keine Angst haben, ein Buch zu lesen, nur weil es durch seinen Autor und sein Sujet so eindeutig einer Insiderszene zugerechnet wird, daß man sich gleich nicht mehr kompetent fühlt und es am liebsten mit einem Etikett überklebt. Dabei müßte Konsens darüber herrschen, daß auch die so leichtfertig den verschiedenen Genres zugeschriebene Literatur in erster Linie eben Literatur ist, die als solche rezipiert, gutgeheißen, abgelehnt oder verrissen werden will. Aber Szenen haben eben ihre eigenes Publikum, und es ist für einen Autor schwer, nicht auf diesen Aspekt seines Schreibens festgenagelt zu werden.

Ganz besonders gilt dies für die sogenannte Gayliteratur, die ja förmlich ein Reservat im Kulturbetrieb darstellt und über deren „Kultbücher“ meist nur die Insider bescheid wissen. Der hier zu besprechende Roman Schattenengel von Brane Mozetič beansprucht jedoch breitere Aufmerksamkeit, denn er gehört mit Sicherheit zum Besten und Verstörendsten, was die slowenische Literatur gegenwärtig zu bieten hat. Mozetič steht freilich abseits jenes massiv promoteten Mainstreams, der bei uns neuerdings als „die slowenische Literatur“ daherkommt, und so erklärt sich auch der Respektabstand von acht Jahren, die sein Roman brauchte, um endlich auch in deutscher Sprache erscheinen zu können. Es liegt wohl in erster Linie am Mangel an nicht einschlägig bekannten Verlagen, die es auf sich nähmen, so ein Buch ihren Lesern zuzumuten. Denn sein Inhalt ist heikel: es benennt den Schmutz, mit dem der Analverkehr assoziiert ist, es beschreibt drastisch sexuelle Praktiken und Gewalt und es beunruhigt bei aller monomanischen Fixierung auf die Gleichgeschlechtlichkeit durch die Möglichkeiten der Identifikation, die es eröffnet: die Gedankenwelt seines Protagonisten ist nämlich ausschließlich von Schwulen bevölkert, die eine komplett ausdiffferenzierte Gesellschaft bilden, die im Einzelnen mit abscheulicher Normalität agiert. Hier bleibt kein Raum für eine literarische Welterfassung, die sich gern des intellektuellen Spiels mit herkömmlichen Wirklichkeiten bedient. Hier entsteht vielmehr Wirklichkeit, erschreckend und banal und allgemeingültig. Es ist kein Buch über die Schwulenszene in Slowenien, und schon gar kein realistisches, es benennt nicht einmal die konkreten Orte, an denen es situiert ist, aber es ist mit Wirklichkeit derart aufgeladen, daß einem die Haare zu Berge stehen.

Der Plot, der nur den notwendigen Rahmen abgibt, ist schnell erzählt. Ein Mann (er heißt Brane) steht als Angeklagter vor Gericht und soll psychologisch begutachtet werden. Er hat seinen Geliebten getötet, die Psychologin forscht vorsichtig nach den Gründen. Im Verlauf des Interviews enthüllt sich die Geschichte einer Beziehung, die von Anfang an von Gewalt und Abhängigkeit geprägt ist und die ausweglos in die Katastrophe führt.

Das Verstörende dieser Erzählung liegt in der Drastik und zugleich Distanziertheit der Darstellung, die noch den blutigsten Sadismus als Aspekt einer philosophischen Unbehaustheit zeigt. Branes Erleben ist nicht analysierbar, sondern es funktioniert vollkommen autochthon; Dinge widerfahren nicht, sondern sie werden getan oder nicht getan. Der Erzähler verfügt über eine subtile Urteilsfähigkeit, er wüßte genug über sich und andere, um nicht Opfer von Wiederholungszwängen werden zu müssen. Aber er nimmt die mit seinen Beziehungen verbundenen Schmerzen, die physischen und psychischen, in Kauf, er sucht sie, weil es ohne Schmerzen nicht geht. Was ihm wirklich zu schaffen macht, ist seine existentialistische Angst, die Panik vor dem Tod, er war nur nicht gefaßt auf die Intensität, mit der diese Gefühle im Verlauf seiner Beziehung zu Jan in ihm aufbrechen sollten. Er erzählt darüber rückhaltlos und reißt die Interviewerin allmählich in seine existentielle Unsicherheit hinein.

Mozetičs Figuren handeln autistisch, fixiert auf ein extrem schmales Segment von Welt, in dem alles, Wünsche, Sehnsüchte, Liebe, aber auch Brutalität und Sadismus, Platz finden muß. Die grundsätzliche Frage, was Menschen voneinander verstehen können, wird schon am Beginn des Gespräches reflektiert: „Ab und zu sagt sie was. Die Maschine, die alles erfahren will. Damit sie das Bild zusammenfügen kann. Ein Bild, das sich nicht zusammenfügen läßt. Weil es keine Logik, keine Ordnung, Ursache oder Folge gibt, ein Mosaik aus Bruchstücken, die nicht zusammenpassen, die verschiedene Formen haben, aus verschiedenen Materialien bestehen, die verschwimmen, sich schlagen, sich verlieren, die verschiedene Geschwindigkeiten haben ...“ (S. 9). Es wirkt wie eine ironische Pointe, daß dieser der Angst ausgelieferte und an seiner Sinnlosigkeit verzweifelnde Mensch seine Psychologin so weit beeinflußt, daß sie allmählich Parallelen zu ihrem eigenen, nach einer radikalen Lösung drängenden Leben sieht. Die zitierte Stelle bezeichnet übrigens die einzige Verschiebung der Erzählperspektive des Romans in den Bereich des Gedachten. Auf den restlichen 115 Seiten wird nur gesprochen, und zwar in der Diktion einer durchschnittlichen Rationalität, die keinen Wahnsinn erkennen läßt, es sei denn, man nimmt das Normale als Wahnsinn. Die Erzählung Branes fügt die Bruchstücke zu einer fragmentarischen Gestalt; was unausgesprochen bleibt, ist auch nicht geschehen.

Beiläufig wird aber doch analysierbares Material geliefert. So hatte Brane früher offenbar eine Frau, und er war nur einer von vielen, die in den einschlägigen Parks ihre heimlichen Kontakte mit Schwulen pflegten. Er outete sich aber und stieg in die Szene ein, mochte allerdings nie ihre Spiele und Fixierungen, die Discos, Darkrooms, Schwulenstrände, die Anmacherei in den Bars, die zur Schau getragene Promiskuität. Man erfährt, daß die Ausgeschlossenheit für Brane ein Grundgefühl ist, weil er nicht sein kann wie die andern, wie Jan zum Beispiel, der überall mitmacht. Man erfährt auch ein Motiv für Branes Abhängigkeit von Jan, der ohne Verantwortung in der Welt herumschwimmt, nie Geld hat und dauernd irgendetwas braucht: er will ihn bergen, hätscheln, ihn waschen und füttern wie ein Kind. Jan hingegen lebt seine Promiskuität ohne einen Anflug von Loyalität; er verschwindet, wenn es ihm paßt, taucht wieder auf, erzählt in allen Einzelheiten von seinen Liebhabern, nimmt sogar Typen zu Brane mit, um ihn möglichst tief in Geschichten hineinzuziehen, die ihn dann wieder nichts angehen sollen. Brane hält Jan für oberflächlich, läßt sich aber in seine Spielchen hineintheatern, weil er, wie er meint, so schwer nein sagen kann. Beiläufig erfährt man schon im ersten Kapitel von einem Eifersuchtsmord, den Brane am Schwulenstrand begangen hat, und von dem das Gericht nichts weiß. Er beschreibt diesen Mord als bloße Episode, die zwischen ihm und Jan stundenlanges Schweigen auslöste. Keine Empfindung, keine Angst vor Konsequenzen. Was ihn stört, als er davon erzählt, ist einzig seine Unbeherrschtheit, denn die Gewalt, sagt er später, ist eine einzige Leere. Die Schuld aber „existiert bloß in meinem Kopf. Eigentlich war ich selber schuld, weil ich die Dinge so nahm. Statt sie zu ignorieren. Aber es ist so schwer, es ist schwer, Gleichgültigkeit zu lernen ...“ (S. 16).

Am Ende liegen einige Tote auf dem Weg dieser von sexueller Abhängigkeit beherrschten Beziehung, die immer mehr zur Folter wird. Genau, kompromißlos, nur aus dem Potential seiner Figuren schöpfend, beschreibt Mozetič den üblichen Beziehungsterror aus Vereinnahmung und Abstoßung, nur eben bis in die mörderische Konsequenz. Jan schreckt auch nicht vor einem theatralischen „Bekenntnis“ zurück, mit AIDS infiziert zu sein, um Brane endgültig an sich zu binden. Immer bestimmender werden Haß und Gewalt, und was am Ende bleibt, ist Einsamkeit, Verzweiflung, das Warten auf den körperlichen Verfall, der Schmerz, weil der Geliebte fehlt, dessen Tod ebenso sinnlos war wie sein haltloses Leben. Mozetič schreibt durchwegs lapidar, ohne Ausschmückungen, kein Wort, das nicht notwendig wäre. Die blutigen und schmerzhaften Details entbehren jeden Kommentars und sind von einer seltenen Knappheit und Drastik. Man wird sie nicht so schnell vergessen.

Schattenengel ist der Romanerstling des 1958 geborenen, slowenischen Autors Brane Mozetič, der als Herausgeber, Übersetzer und Promotor slowenischer Literatur das literarische Leben Sloweniens maßgeblich mitgeprägt hat und als Lyriker längst internationalen Ruf genießt. Es ist gewiß keine leicht verdauliche Lektüre, denn hier werden so gar keine Antworten gegeben, und der Leser bleibt ziemlich verstört zurück. Das Buch stellt somit eine echte Bereicherung unseres Wissens über die slowenische Literatur dar. Es ist als Paperback erschienen. Warum sich auf dem Cover die Fotografie eines Pause machenden Bauarbeiters mit Walkman im Ohr befindet, wird ein Verlagsgeheimnis bleiben, ebenso, warum der schlichte Titel des Originals – „Engel“ – zu „Schattenengel“ aufgedonnert werden mußte. Die Übersetzung von Andreas Leben hält sich möglichst nah an das slowenische Original und ist bei allen Anforderungen, die die Diktion des Originaltextes stellt, großartig gelungen. Man darf auch hierzulande auf neue Mozetič-Bücher gespannt sein.

Erwin Köstler

Reaktionen Auf den Beitrag reagieren

Erika, 2004-06-30, Nr. 1244

Danke!
Das Buch kauf ich mir!
Sofort!

Erika

mojca, 2004-07-07, Nr. 1251

ja, ich kaufe auch, weil ich brane respektiere, schon lange.

le tako naprej, brane!!!

Reaktionen auf andere Beiträge

.

ZUM NACHLESEN

Freitag, 15. März 2024
r OLTA - Das Hufeisenmodell
Arbeiter:innenheim der KPÖ Villach, Ludwig-Walter-Straße 29

Freitag, 23. Feber 2024
r DEMO GEGEN RECHTS - DEMO PROTI DESNO
Klagenfurt Stadttheater

Donnerstag, 8. Feber 2024
r Zivilcouragetraining und queerfemeinistisches Argumentationszirkeltraining
mit anschließendem Vernetzungstreffen/ navrh možnost zu povezovanje
organisiert von/origanizirano od: Verein GemSe, KD Barba, schau.Räume
schau.Räume Villach, Draupromenade 6

Donnerstag, 18. Jänner 2024
r Filmvorführung "Kärnten is' lei ans"
Arbeiter:innenheim der KPÖ Villach, Ludwig-Walter-Straße 29

Samstag, 21. Oktober 2023
r Das ist uNser Haus!
Kleine Geschichte der Hausbesetzungen in Kärnten/Koroška Veranstaltet von: Squats statt Kärnten
schau.Räume, Draupromenade 6, 9500 Villach/Beljak

Mittwoch, 6. September 2023
r DIE GEMOCHTEN
Lesung und Buchpräsentation von Lydia Mischkulnig
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

Mittwoch, 23. August 2023
r SPÄTLESE
Lesung und Buchpräsentation von Engelbert Obernosterer
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

Freitag, 26. Mai 2023
r Geld
Myzel, Lederergasse, 9500 Villach

Freitag, 2. Dezember 2022
r Partnerlook
Lesung und Buchpräsentation von und mit Ludwig Roman Fleischer.
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

Donnerstag, 23. Juni 2022
r Weana Gschicht und Weana Geschichtln - Fom End fon da Manachie bis häht
Die Geschichte Wiens auf Wienerisch. Lesung und Buchpräsentation von und mit Ludwig Roman Fleischer
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

r Weitere Dokumentationen