kärnöl-Logo Independent Carinthian Art & Cult
Wed Apr 24 2024 14:22:50 CET
ÜBERBLICK
Aktuell
Glossen
+Alle Beiträge
Autoren
Veranstaltungen
Links
Kontakt
LESERFORUM
Leserbriefe
Reaktionen

Globale Bildung im Bündnis für Eine Welt

r Globale Bildung
im Bündnis für Eine Welt

Krise - Themenschwerpunkt 2009

r Unser aktueller Themenschwerpunkt

www.karawankengrenze.at

r Unser Projekt gemeinsam mit dem Verein Erinnern

Nationalsozialismus in Villach

r Hans Haider:
"Nationalsozialismus
in Villach"
(pdf downloaden)

Jüdinnen und Juden in Kärnten

r Hans Haider:
"Jüdinnen und Juden
in Kärnten"
(pdf downloaden)

Pizzakarton Sgt kärnöl´s Lonely Hearts Club Band

r Nähere Informationen zum schönsten Pizzakarton der Welt

WASSER? - Jetzt gehts um die LEITUNGSKOMPETENZ!

r WASSER?
Jetzt gehts um die LEITUNGSKOMPETENZ!

Bildung - Themenschwerpunkt 2007

r Unser Themenschwerpunkt 2007

(c) Arbeit

r Alle Informationen zum Themenschwerpunkt Arbeit

(c) Eigentum

r Unser Themenschwerpunkt Eigentum
r Überblick über alle Themenschwerpunkte

Erwin Köstler

Reaktionen auf den Beitrag

Print Version

2004-06-29

Überlegungen zur kulturpolitischen Relevanz des literarischen Übersetzens

Ich habe es übernommen, über die kulturpolitische Bedeutung des literarischen Übersetzens zu reden und mich damit auf ein Thema eingelassen, das auf das sehr komplexe Thema der kulturpolitischen Bedeutung künstlerischer Arbeit führt. Da im gegebenen Rahmen natürlich nur eine sehr eingeschränkte Erörterung möglich ist, werde ich mich auf ein paar einfache Überlegungen beschränken, die unmittelbar auf das literarische Übersetzen zu beziehen sind. Zwei Dinge müssen auseinandergehalten werden: erstens die Bedeutung, die die Kulturpolitik eines Staates künstlerischer Arbeit beimißt; und zweitens die schlechthin politische Relevanz künstlerischer Arbeit. Denn unter Kulturpolitik wird in der Regel Kunstpolitik verstanden, und man kann sich ja fragen, warum Kunst für ein Staatswesen überhaupt von Bedeutung sein soll. Wir müssen also die praktische Seite einer quasi behördlichen Kunstrezeption, die sich in Subventionen, punktuellen Förderungen und Preisen oder auch deren Vorenthaltung ausdrückt, und die mehr grundsätzliche Frage des politischen Potentials künstlerischer Arbeit auseinanderhalten, um nicht Dinge zu vermischen, die in einem kritischen und bisweilen in einem Verhältnis der Unvereinbarkeit einander gegenüberstehen.

Der hauptberufliche literarische Übersetzer ist Literat. Aus seiner Arbeit geht Literatur hervor, sie unterliegt den Produktions- und Marktbedingungen von Literatur, sie braucht ebensoviel Hinwendung und Sitzfleisch und ist eine für die Gesundheit und den sozialen Status des Ausübenden bisweilen riskante Tätigkeit. Der literarische Übersetzer muß Initiative und Engagement aufbringen, um sich den Raum zum Arbeiten erst zu schaffen, und er kann auf einer geleisteten Arbeit auch sitzen bleiben. Er braucht eine kreative Intelligenz und Wissen, um einen Text angemessen und wirksam aus seinem ursprünglichen Bezugsfeld zu lösen und in der anderen Sprache zu reaktualisieren, wodurch etwas anderes, Neues entsteht, dessen Wert neu diskutiert werden muß. Und natürlich gehört zu seinem Beruf eine obsessive Veranlagung, eine Liebe, in Tiefenstrukturen einzutauchen, intuitiv Erfaßtem Form und Gewichtung zu geben, im Kopf ein Gesamtbild zu entwerfen, und dann am Satz, am Wort zu meißeln, bis die Proportionen auch im Millimeterbereich stimmen. Wer so arbeitet, übt ohne Zweifel eine künstlerische Tätigkeit aus.

Die Tatsache, daß literarisches Übersetzen in Österreich von staatlicher Seite durch Prämien und Preise gefördert wird, liefert dazu eine praktische Definition des literarischen Übersetzens als künstlerischer Tätigkeit. Seit 2001 gibt der Gesetzgeber dem Übersetzer die Möglichkeit der Künstlersozialversicherung, das heißt realiter eines Zuschusses zur Pensionsversicherung, zu welcher der meist Schlechtverdienende bei allen sonstigen Verschlechterungen, Subventionskürzungen, neuen Abgaben und Teuerung, nun freilich verpflichtet wird. Sozialpolitisch gedacht wäre auch die für Künstler geschaffene Möglichkeit, ihre unregelmäßigen Einnahmen bei der Steuererklärung rückwirkend auf drei Jahre aufzuteilen, wenn etwa aus einem zufällig „guten“ Jahr eine unzumutbare Steuerbelastung für das Folgejahr resultierte. Diese Regelung nähme Bezug auf die besonderen Arbeits- und Existenzbedingungen von Künstlern, zu denen von Staats wegen auch der literarische Übersetzer zählt.

Wäre, nähme. Denn der Künstlerstatus des in Österreich seine Steuern zahlenden literarischen Übersetzers wird vom Finanzamt nicht anerkannt. Begründet wird dies damit, daß der literarische Übersetzer angeblich „keine eigenständig kreative“, sondern „nur eine rein reproduktive Tätigkeit“ ausübe. Ursprünglich sei überhaupt daran gedacht gewesen, nur akademische Künstler in den Genuß dieser Regelung kommen zu lassen – mit anderen Worten: nur Diplomierte als Künstler anzuerkennen. Das bedeutet, daß der Staat seine eigenen Vorgaben nach Belieben interpretiert. So nimmt das Finanzamt aufgrund einer obskuren und realitätsfernen Definition von Kunst eine Selektion in Privilegierte und Nicht-Privilegierte vor, ohne das Kriterium der besonderen Arbeitsbedingungen, das grundlegend für die Schaffung einer eigenen Regelung war, überhaupt noch in Erwägung zu ziehen.

Die Kunstpolitik müßte nun eigentlich daran interessiert sein, eine Berufsgruppe ihrer Zuständigkeit, die von einer konkurrierenden Regierungsinstanz diskriminiert wird, in Schutz zu nehmen, um ihr eigenes Ansehen zu wahren. Aber der literarische Übersetzer fällt natürlich nicht unter die primären Zielsetzungen einer Kunstpolitik, die sich der Kultur als einem Segment der globalen Märkte verschrieben hat und ihren Auftrag vorrangig in der Förderung der sogenannten Kreativwirtschaft sieht, also im wesentlichen des durch die Produktwerbung generierten kulturellen Outputs. „Paradoxerweise“, so Franz Morak Anfang 1999, als er noch Abgeordneter war, „wird den potentiell wirtschaftlich erfolgreichen Segmenten der Kultur gerade mit dem Hinweis, daß dort ja ohnedies Geld verdient wird, die Förderungsbedürftigkeit abgesprochen – zuerst kommt der arme Poet und dann sind in der Regel die Mittel erschöpft“. Daß Morak vor fünf Jahren zurecht gegen eine sich am inszenierten Spektakel profilierende, ansonsten an musealen Kulturvorstellungen haftende und im übrigen konzeptlose Kunstpolitik zu Felde zog, hinderte ihn nicht, jene Kunstschaffenden, die als Schlechtestverdiener dem Markt in besonderer Weise exponiert sind, als biedermeierlich schrullige Randexistenzen zu diffamieren, deren Anspruch an die Gesellschaft ihrer Unfähigkeit, sich selbst zu erhalten, erwachse.

Diese etwa zynische Sichtweise ist typisch für das Bild, das sich der Staat gegenwärtig von seinen Bürgern macht. Wer erfolgreich ist, und Erfolg definiert sich selbstverständlich als materieller Erfolg, soll auch ein Recht auf Förderung haben. Der Rest soll sich halt auf die Beine stellen. Dazu ist zu sagen, daß es bei der punktuellen Förderung künstlerischer Arbeit nicht um die Sicherung eines Lebensstandards geht, der sonst nicht erreichbar wäre, nicht um die „Alimentierung“ einer Person, sondern um die Schaffung eines, wenn auch noch so engen, kreativen Freiraums. Für den Schreibenden wichtiger ist ohnehin, daß die Verlagsförderung nicht fällt. Jemand, der Schreiben zu seinem Beruf gemacht hat, will diesen auch ausüben, und sei es um den Preis der sozialen Deklassierung. Die Entfaltung der eigenen Anlagen steht ihm wohl als Grundrecht zu, und sie gestaltet sich bei entsprechender Inkompatibilität mit der gesellschaftlichen Funktionsnorm ohnehin äußerst schwierig. Der Arbeitstag eines Schreibenden, der ja auch Geldarbeiten machen muß, kann sehr lang sein, die Zeit zum Schreiben äußerst knapp. Er muß sich zudem alles allein organisieren, und wer es einmal versucht hat, weiß, wie schwer es an sich schon ist, einen Verlag zu finden. Wenn dieser Arbeiter krank ist, zahlt ihm niemand ein Gehalt, von Urlaub ganz zu schweigen. Man sollte aber nicht vergessen, daß von seiner Arbeit, wenn sie den Weg in die Öffentlichkeit findet, wieder andere profitieren: Verleger, Buchhändler, Rezensenten, das Finanzministerium usw., das heißt, auch jene literarische Produktion, die nicht mit dem Mainstream schwimmt, trägt zum Leben des Marktes in erheblicher Weise bei. Zumindest über diesen Wert der nicht wirtschaftlich produzierten Literatur für die Gesellschaft sollte Konsens herrschen.

Eine aktive Kunstpolitik hätte aber Konzepte gerade für jene Bereiche, die nicht zum Mainstream gehören, sie würde dem Markt gegenüber Politik machen. Sie würde kritische Potentiale schon deshalb besonders fördern, um den demokratischen Diskurs Impulse zu geben, und nicht die Zielvorgabe der Kunstförderung in der Scheidung der „Böcke von den Schafen“ sehen, wie sie der sophistische erste Nationalratspräsident unter Paraphrasierung des Dies irae definierte. Die Kunstpolitik hat keinen eigenen Bereich, wenn ihr Konzept ist, „organisierend“ in das Kunstgeschehen einzugreifen, um auf die von Wirtschaft und Werbung geschaffenen Tatsachen zu reagieren. Dies ist die Sackgasse, in die das unglückselige Erbe der Repräsentativkultur führt. Und es bedeutet zweifellos auch einen Rückschritt, wenn die Kunstpolitik Tribut zahlt und sich für die geistlose politische Folklore in der Provinz instrumentalisieren läßt. Was soll das sein, wenn Mittel aus dem Kunstbudget in ein Abwehrkämpferdenkmal „investiert“ werden, noch dazu in einem strukturschwachen Bundesland, das ohnehin schon Unsummen für die Pflege seiner mühsam am Leben gehaltenen „Urangst“ ausgibt.

Was das Widerständige betrifft, das die Arbeits- und Lebensweise des sich der Gesellschaft und ihren Funktionsnormen sperrenden Schreibers charakterisiert, so ist die Frage, worin sein Wert für die Gesellschaft liegt, immerhin legitim. Eben sie müßte aber Thema einer Kunstpolitik sein, die unter dem vorhandenen kreativen Potential nicht ausschließlich das kreativwirtschaftliche meint und sich die Förderung des pluralistischen Diskurses im Land zur Aufgabe macht. Denn die Politik erhält ihren Auftrag ja wohl von Menschen mit menschlichen Bedürfnissen, und sie hätte die Aufgabe, Freiräume für diese Bedürfnisse zu ermöglichen. Und zum andern eröffnet die in hohem Maß in der Kunst stattfindende kritische Reflexion der Lebensbedingungen einer Gesellschaft Horizonte, die dem bloß auf das Funktionieren gerichteten Interesse verschlossen bleiben, die für das Überleben einer Gesellschaft und die Würde ihrer Menschen aber unverzichtbar sind. Und hier hat auch der literarische Übersetzer ein Wörtchen mitzureden. Dies kann man von ihm lernen: Achtung vor dem fremden Text, planvolles Widerstreben gegen die Vereinnahmung des fremden Textes, Konzentration, und bei allem Respekt vor den Grenzen der eigenen Sprache, die oft mehr geben müßte, als sie kann: die Vermeidung der oft allzu nahe liegenden Vereinfachung. Der eigenverantwortliche literarische Übersetzer gibt ein gutes Beispiel dafür ab, wie man sich der bloßen Verfügbarkeit auf dem Markt widersetzt, indem man selbst zum Schöpfer von Inhalten wird.

Es ist ein Irrtum, zu glauben, der literarische Übersetzer hätte sich vorrangig um die Vermittlung sogenannter Weltliteratur zu kümmern. Die ganze Weltliteratur ist ja auch ein obskures Konstrukt aus irgendwann kulturpolitisch geschaffenen Tatsachen. Sie spiegelt im wesentlichen wider, für welche Art von Literatur im 19. Jahrhundert das meiste Geld aufgewendet wurde. Doch selbst der Doyen der zeitlosen Kärntner Literatur, der zum „Unpolitischen“ stilisierte Josef Friedrich Perkonig, wurde, als er kurz nach dem zweiten Weltkrieg daranging, eine slowenische Klassikerbibliothek in deutscher Sprache aufzubauen, politisch. In einem Kurzessay führt Perkonig nämlich die relative Unbekanntheit der Dichtung der Südslawen auf das historische Ressentiment und das Vorurteil der Deutschen von der eigenen kulturellen Überlegenheit zurück, und er bezeichnet es als einen „Irrtum, zu meinen, daß einem Volke ein Dienst oder gar eine Gnade erwiesen wird, wenn eine andere Nation Stücke seiner Dichtung in die andere Sprache überträgt“, weil der Gewinn auf Seiten der Literatur sei, in welche übersetzt wird und diese einen „Zuwachs an dichterischer Substanz“ erfahre.

Heute müßte man diese noch immer beachtlichen Worte um den Appell erweitern: der Übersetzer sollte durch Auswahl der Texte und persönlichen Einsatz zu einer Akzeptanz jener Literatur beitragen, die aus welchen Gründen auch immer diskriminiert ist, und er sollte einem Markt entgegenarbeiten, der solche Diskriminierung duldet und fördert. Er kann nämlich durchaus etwas bewirken, er kann seine Arbeit so konzentrieren, daß durch die Auswahl der übersetzten Texte an sich ein Text entsteht, der in den öffentlichen Diskurs eingreift. Auch wenn es schwer sein mag, sich bei dem herrschenden Spektakel Gehör zu verschaffen, und wenn die dazu nötige aufklärerische Kleinarbeit noch so zeitraubend ist: dies ist der einzige Weg zur nachhaltigen Arbeit. Selbst der neu- und wiederentdeckte Klassiker hat ein Recht darauf, nicht zum Staubfänger in den Schauräumen des Zeitlosen zu verkommen, welches nach Arno Schmidt „immer ein Treffpunkt literarischer Drückeberger und menschlicher Deserteure“ ist. Das wichtigste Mittel, um Nachhaltigkeit zu erreichen, ist die gute, die genau gearbeitete Übersetzung, und diese, weil sie die theoretisch unbeantwortete Frage nach dem Verhältnis von Inhalt und Form praktisch lösen muß, ist nicht schnell und im Akkord zu bewerkstelligen. Ich bin lange genug dabei, um auf den ersten Blick zu sehen, ob ein Übersetzer wirklich gearbeitet oder ob er nur seine Publikationsliste verlängert hat. Hat er gearbeitet, dann spricht aus jedem Satz: der Mensch. Und ich weiß: seine Arbeit war auf jeden Fall schwer und sehr wahrscheinlich schlecht bezahlt.

Der literarische Übersetzer scheint seine künstlerischen Entscheidungen im stillen zu treffen und ein meist unauffälliger Zeitgenosse zu sein, was etwa auch der Auffassung jener Rezensenten entspricht, die die geleistete übersetzerische Arbeit immer noch nicht für erwähnenswert halten und sie eigentlich als bloße Dienstleistung ansehen. Je mehr jedoch die Auswahl der zu übersetzenden Texte in der Hand des Übersetzers liegt, umso größer wird seine Distanz zum Mainstream, umso größer auch seine Verantwortung. In den wirtschaftlich schwachen Kleinverlagen, die sich vielleicht kein eigenes Lektorat leisten können, ist der Übersetzer als Literaturexperte gegebenenfalls auch mit seinen Vorschlägen zur Programmgestaltung gefragt, was ihm eigentlich ideale Bedingungen einräumt, seine Arbeit am Text mit konzeptioneller Arbeit zu verbinden. Als Übersetzer für einen slowenischen Kleinverlag in Kärnten finde ich diese Möglichkeit vor, und ich glaube, jeder, der mit Herz bei der Sache ist, würde sie bei allem Mehraufwand an Arbeit als kreativen Freiraum begrüßen. Der kulturelle Output der österreichischen Kleinverlage ist insgesamt sehr beachtlich, die Qualität ihrer Bücher anerkannt, die Nachfrage nicht zu unterschätzen, wenn auch es selten zu Bestsellern kommen mag. In diesem Bereich wird jedoch stetig an der bewußten Aufrechterhaltung der kulturellen Differenz gearbeitet, ohne die der sogenannten Repräsentativkultur in einer pluralistischen Gesellschaft jegliche Berechtigung fehlen würde.

Sollte die Verlagsförderung einmal fallen, dann müßten auch diese Verlage auf Mainstream-Produktion umstellen, um sich vielleicht noch einen kleinen Teil ihrer eigentlichen Arbeit leisten zu können. Viele würden es nicht mehr schaffen, und auch mit einem ansehnlichen Bereich der Übersetzungsliteratur, der weit über die Grenzen Österreichs hinaus Beachtung findet, wäre es vorbei. Es kann allerdings nicht im Interesse eines Staates sein, einen Teil seiner kreativen Intelligenz, der bereit ist, konstruktiv an der Gestaltung der Gesellschaft und an Lösungen für ihre Menschen zu arbeiten, in den Untergrund des Schweigens zu zwingen, der immer ein gefährlicher Bereich ist. Es ginge wohl darum, jenen, die bereits dort sind, wieder zumutbare Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Politik braucht generell ein menschliches Konzept für den Umgang mit den Menschen am Rand der Gesellschaft – und dieser Rand, an dem sich auch ein großer Teil der Kulturschaffenden dieses Landes befindet, wird immer größer.

Und noch etwas: Wir haben noch nicht alle Lehren aus der geleisteten Arbeit des Erinnerns gezogen, die das 20. Jahrhundert notwendig gemacht hat, und schon droht ein neues Zeitalter des Vergessens, wo von offizieller Seite aufgeräumt wird mit dem „antifaschistischen Blabla“. Was heute an ungestrafter Diskriminierung von Menschen möglich ist, übersteigt bald das Maß des Vorstellbaren. Ich sage es einmal so: als Schwarzafrikaner in Österreich wäre ich mir meines Lebens nicht sicher. Wirklich erschütternd ist der systemische Rassismus, dem Menschen, ob sie sich etwas zuschulden kommen haben lassen oder nicht, in diesem Kulturland ausgesetzt sind. Auch in diesem Bereich hat der literarische Übersetzer seine Verantwortung: seine Arbeit kann aufklären und den Horizont erweitern, Dinge drastisch zu Bewußtsein bringen, die bei der hierzulande üblichen Nabelschau sonst verdrängt und verschleiert werden, er kann sich persönlich vor die Verfolgten und Diskriminierten stellen, denen er eine Stimme gibt, und er kann Mitleid provozieren, das nach den Worten Hanns Henny Jahnns immerhin die Kenntnis und Anerkennung fremden Schmerzes voraussetzt und das einzig wirksame Mittel gegen die Dummheit darstellt. Das Arbeitsfeld des literarischen Übersetzers ist so gesehen nach allen Richtungen groß: überall gibt es Literatur, die Zeugnis ablegt von Elend und Verfolgung, von sozialer und ethnischer Diskriminierung, die vielleicht in einer Sprache geschrieben ist, der schon wegen der physischen Armut ihrer Sprecher kein Wert beigemessen wird, die von existentiellen Abgründen berichtet, von der Angst, vom Dreck und vom Wahnsinn, vom Recht des Menschen auf Würde, Literatur, die sich schwer verkauft oder gar nicht, weil sie der sogenannte Literaturbetrieb nur in genau abgesteckten Reservaten duldet. Ich verweise auf das Image der Literaturen der Volksgruppen, die noch heute allzu leichtfertig mit „Folklore“ gleichgesetzt werden, auch die Literatur der Kärntner Slowenen, die überaus reich und vielfältig ist und mit dem Mladje ganz sicher ein unentbehrlicher Teil der literarischen Avantgarde in Österreich war. Ich verweise auf Literatur, die es vielleicht noch schwerer hat, für seriös genommen zu werden, auf die sogenannte Schwulen- und Lesbenliteratur, die scheinbar überhaupt nur mit dem Hinweis auf die entsprechende „Szene“ erwähnt zu werden verdient, den heterosexuellen oder, wie man auch sagt, „normalen“ Menschen aber sonst nichts zu sagen haben soll. Es gibt weite Bereiche der Diskriminierung, und der literarische Übersetzer kann daran mitwirken, die zwischen den Menschen künstlich errichteten Mauern, die immer auch Mauern im Kopf sind, niederzureißen. Er kann es kraft seiner Begabung und der ihm zur Verfügung stehenden Ausdrucksmöglichkeit tun. Und wenn ihm das Zeugnis, das er ablegen kann durch sein eigenes Leben, etwas zählt, dann muß er es tun.

Reaktionen Auf den Beitrag reagieren

Keine Reaktionen vorhanden

Reaktionen auf andere Beiträge

.

ZUM NACHLESEN

Freitag, 15. März 2024
r OLTA - Das Hufeisenmodell
Arbeiter:innenheim der KPÖ Villach, Ludwig-Walter-Straße 29

Freitag, 23. Feber 2024
r DEMO GEGEN RECHTS - DEMO PROTI DESNO
Klagenfurt Stadttheater

Donnerstag, 8. Feber 2024
r Zivilcouragetraining und queerfemeinistisches Argumentationszirkeltraining
mit anschließendem Vernetzungstreffen/ navrh možnost zu povezovanje
organisiert von/origanizirano od: Verein GemSe, KD Barba, schau.Räume
schau.Räume Villach, Draupromenade 6

Donnerstag, 18. Jänner 2024
r Filmvorführung "Kärnten is' lei ans"
Arbeiter:innenheim der KPÖ Villach, Ludwig-Walter-Straße 29

Samstag, 21. Oktober 2023
r Das ist uNser Haus!
Kleine Geschichte der Hausbesetzungen in Kärnten/Koroška Veranstaltet von: Squats statt Kärnten
schau.Räume, Draupromenade 6, 9500 Villach/Beljak

Mittwoch, 6. September 2023
r DIE GEMOCHTEN
Lesung und Buchpräsentation von Lydia Mischkulnig
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

Mittwoch, 23. August 2023
r SPÄTLESE
Lesung und Buchpräsentation von Engelbert Obernosterer
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

Freitag, 26. Mai 2023
r Geld
Myzel, Lederergasse, 9500 Villach

Freitag, 2. Dezember 2022
r Partnerlook
Lesung und Buchpräsentation von und mit Ludwig Roman Fleischer.
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

Donnerstag, 23. Juni 2022
r Weana Gschicht und Weana Geschichtln - Fom End fon da Manachie bis häht
Die Geschichte Wiens auf Wienerisch. Lesung und Buchpräsentation von und mit Ludwig Roman Fleischer
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

r Weitere Dokumentationen