2004-03-04
MINIMUM - IV
Textausschnitt aus „MINIUM“
Bisher erschienen in dieser Serie:
MINIMUM - I
MINIMUM - II
MINIMUM - III
D
ie letzten fünf Jahre hatte Tomec das Heim nicht mehr verlassen, seine tägliche Ration Frischluft hatte er sich im kleinen Innenhof geholt, wo er auch seine tägliche Dosis Nikotin in Form von drei Zigaretten, die den alten Leuten von der Anstaltsleitung zugestanden waren, inhaliert hatte. Hier in den Straßen der an sich übersichtlichen Stadt wäre er ohne Begleitung völlig aufgeschmissen gewesen. Er hatte sich bei Michor eingehängt, der erst jetzt bemerkte, dass Tomec immer noch seine Filzpantoffel an den Füßen trug. Außerdem blieb ihm nicht verborgen, dass sein Freund schon ziemlich schwach auf seinen Beinen stand. Bleiweiß mühte sich einstweilen mit dem Kontrabass ab, ein Instrument in einer Größenordnung, mit der es zuvor nie zu tun gehabt hatte. Egal, sollte er ihn zu schwer werden, würde er ihn hinter sich her schleifen, war das Gerät schon derart ramponiert, dass ihm ein paar Kratzer mehr nicht einmal anzumerken gewesen wären. Doch wusste Bleiweiß Bescheid über die Liebe, die einen Musiker mit seinem Instrument verband, dass er es wahrscheinlich nicht riskieren würde Tomecs Herz zu brechen, indem er dem Kontrabass den entsprechenden Respekt verweigerte.
Als sie schließlich beim Wagen ankamen, und Bleiweiß den Bass gegen die Karosserie lehnte, stellte sich ihm die berechtigte Frage, ob drei Leute, in absehbarer Zeit sogar vier, ein Hund, ein Haufen Musikinstrumente, Verstärker und Tourgepäck überhaupt genügend Platz im Kombi fänden. Mit ein paar Tricks gelang es Bleiweiß den Bass zu verstauen, der dabei ständig davon sprach, dass es sinnvoller wäre, wenn Tomec auf eine elektrische Bassgitarre umsteigen würde.
„Lass ihn reden!“ beruhigte Michor Tomec, der nicht wusste, worum es ging.
Sie setzten Tomec auf die hintere Sitzbank, die er mit Django teilen musste, und bevor sie einstiegen, zog Bleiweiß Michor zur Seite.
„Sagen Sie, wissen Sie eigentlich, was Sie diesem alten Mann antun? Was Sie mir antun? Ich hoffe nur, dass Ihr zweiter Freund einen resoluteren Eindruck macht. Ich bin nämlich kein Therapeut für gescheiterte Musiker der Prä-Breschnjev-Aera!“
„Tomec ist Weltklasse, warte ab. Und trotzdem danke ich dir. Es ist unsere letzte Chance, aber vielleicht deine erste. Mehr will ich dazu nicht sagen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Jiri wohnt in Jihlava.“