2003-11-22
Ich-Verlust
Ich sitze oder stehe dem Du gegenüber. Ich sehe mich selbst in diesem Du, in den Gesten, Worten, in den Handbewegungen, das Du ist ein Spiegel für mich. Zugleich bin ich Spiegel für dieses Du. Auch wenn wir einander nicht bewusst nachahmen, wir verändern einander unmerklich durch Blicke, Worte, Gesten, die wir, einander gegenüber, ausführen. Jede meiner Gesten wirkt auf das Du ein, jede Geste meines Gegenübers wirkt auf mich ein.
Ich sitze dem Du gegenüber und in der Art, wie es mich ansieht, bin ich mein Ich.Gibt mir das Du seine Worte und Gesten in der Wahrhaftigkeit seines Fühlens und Denkens, so wächst mein Ich am klaren Ausdruck meines Gegenübers. Spielt das Du mit seinem Leben ein Spiel und spielt es sich mir absichtlich vor, ein schlechtes Stück der Täuschung, so verbiegt das gespielte Ich meines Du mich langsam und schmerzlich, so lange, bis ich nicht mehr weiß, wo meine Erde ist, wo mein Himmel, und wo ich selbst bin. Irgendwo drüben, in diesem unklaren und unwahrhaftigen, sich selbst spielenden Ich, das mein Du war, habe ich mich selbst verloren, sitze nun an der Theke, allein, bei einem Glas Wein, versuche ruhig zu bleiben und finde mein Ich nicht mehr.