1999-12-21
Vergiß Franz!
Z.B.V.
franz wird am 23.11.1923
in st. vinzenz/kärnten
geboren
mit neunzehn jahren
wird franz
einmeterfünundsiebzig
groß
geeignet
zur besonderen verwendung.
zwischen juni und september 1943
wird franz ausgebildet
§5
du sollst
väter und mütter
töten
Exkurs
Richtlinien der Ausbildung:
... nun sprach er folgende Worte
§1
ich bin dein herr, dein führer, der dich aus dem land der sieger, dem haus der knechtschaft geführt hat. du sollst keinen anderen führer neben mir haben, du sollst keine schnitzbilder, noch irgendein abild von dem, was droben in den bergen oder in berlin unten oder im wasser, unter der erde ist, machen
vergiss franz
du sollst dich nicht niederwerfen; denn ich der herr, dein führer, bin ein eifersüchtiger führer,der die schuld der väter an die kinder, am dritten und vierten geschlecht nachprüft bei denen die mich hassen..
vergiss franz
ich erweise aber meine gunst bis ins tausendfachste geschlecht denen, die mich lieben und für meine gebote sterben
vergiss franz
§2
du sollst den namen des herrn, deines führers nicht unnütz aussprechen; denn der führer lässt denjenigen nicht ungestraft der seinen namem ohne werbung ausspricht
vergiss franz
§3
gedenke des 20. aprils, denn in sechs tagen hat der führer den himmel, die erde, das meer und alles, was in deutschland ist, geschaffen; doch am siebten tage ruhte er....
vergiss franz
§4
ehre deinen führer und deinen führerin, damit du lange lebst in dem lande, das der herr, dein führer, dir gibt
vergiss franz
§5
du sollst mich, deinen führer nicht töten
§6
du sollst nicht eher brechen; als der tot uns scheidet
(siehe §1 & §2)
vergiss franz
§7
du sollst deinen führer nicht bestehlen
(siehe §1 & § 2)
vergiss franz
§8
du sollst gegen deinen nächtsten, deinen führer kein falsches zeugnis ausstellen
vergiss franz
§9
du sollst nicht die haut der eva braun begehren
vergiss franz
§10
du sollst nicht begehre die frau deines führers und auch nicht seine freundin, sein auto, seinen esel aus draht und nichts von dem, was deinem nächsten, dem führer
MIR
gehört
REFORM
der führer sprach zu franz:
"HAUE DIR ZWEI ZEITTAFELN ZURECHT, WIE DIE ERSTEN WAREN
§10 a,
du sollst ein kind nicht in seiner mutter kochen.
§11
der herr spach zum führer:
schreib dir diese worte auf!
40 tage und 40 nächte war franz an der front ; er aß kein brot und trank kein wasser. er schrieb hier auf die tafeln des verwundeten wortes, die zehn gebote.
Abschied
Jetzt taucht sich der Tag ins Nachtschwarz der Erinnerung. Die Gedanken, ihre damals gegenwärtigen Augenblicke sind wie die Gelsen, die lästig deine Haut umkreisen, sich stumm, unspürbar niedersetzen und stechen.
Der Ruf der am Gitterbett der schmerzenden Hände sitzenden Alltagsfrau hat mich gegen 9:15 erreicht. Die Konzentration der Organisation gerät ins Taumeln, die Stimme zittert, Hände sind nass, die Ahnung der Wirklichkeit treibt dich sinnlos durch die Räume. Birgit, die Sekretärin deiner Gewöhnlichkeit schaut groß und ruhig.
Vorzeitig, noch vor zwölf, verlässt du den Ort deiner pragmatisierten Existenzsicherung nachdem du Michael und seine besorgten Eltern kennengelernt hast. Nach der fürsorglichen Angabe der Eltern sei Michael verhaltensauffällig, da er nach Angabe seiner Professoren den Unterricht störe, lässig zurückmaule und im Rahmen einer Schulveranstaltung einer Schauspielerin "Fuck me" zugerufen habe. Michael, ein netter gesprächsbereiter, sich vom heute ablösender Jüngling, antwortet dir, auf die von dir mit diesen von dir wiedergespiegelten Sachverhalten mit folgendem Satz: " Sie ist zu mir herübergekommen und hat zu mir gesagt auch ich habe einen Satz für dich:" Du Wichser"!
Verhaltensauffällig hilflos verlasse ich das Gespräch, esse das vorbereitete Mittagsessen, schlafe vierundzwanzig Minuten, packe zuviel ein, vergesse den in der Vergangenheit vorbereiteten Abschied.
Die Fahrt zu Dir verläuft sich in Klagenfurt im Stau und ich bin verhaltensauffällig ruhig. Ein Gang, zwei Gänge, drei Gänge, vier Gänge schiebe ich durch die Kupplung der Gedanken in meinen VW-Bus, der durch Klein -Venedig, über zwei Brücken, vier Tunnels, mich direkt vor den Parkplatz der Gitterbetten des Abschieds bringt. Der uniformierte Parkwächter gibt dir, wie für diese Kleinstadt üblich zwei Stunden Zeit um straffrei Abschied zu nehmen. Wie zur gewöhnlich versuchst du den Parkwächter zu betrügen und du stellst die Parkuhr auf drei.
Deine Augen sind jetzt grau, ich bin nur mehr über Hautdruck spürbar für dich da, mit Mutter, deiner Alltagsfrau hast du schon deine Zeit mit drei Wörtern besprochen.
"Heute gehe ich" und deine Frau hat ihr Gesicht in deins gelegt, noch nicht geweint, in der Hoffnung auf den Herzschlag deiner Träume. Zwei deiner Träume sitzen schon da am Gitterbett deines im Wasser des Lebens erstickenden Herzens. Wir drei Träume haben uns nichts mehr zu sagen, wir warten auf den Traum ohne T.
Jetzt öffnet deine jüngste Tochter die Tür, begrüßt mich wie immer, setzt sich nieder und weiß was mit dir geschieht.
Zwischendurch gehe ich hinaus, verlange den Arzt der Hilflosigkeit, den Fluch der Humanmedizin. Die Krankenschwester gibt dir noch etwas Morphium, oder so etwas ähnliches, um uns zu beruhigen, denn du hast nie über deine Schmerzen geklagt, wir haben sie gespürt. Zwischendurch gehe ich mit meiner Schwester eine Zigarette rauchen. Sie ist eine salige Frau und erzählt mir wie deine Gegenwart sein wird. Ich rufe deine älteste Tochter an, der Anrufbeantworter meldet sich, die Nachricht ist unvollständig. Etwas später können wir deine älteste Tochter vom sinnlosen Fahren abhalten. Sie legt sich nieder und redet mit dir. Das Grau deiner Augen wird matt, tastet die Leere, das Weis der Hand, der Wand, die wir halten. Irgendwann, die Zeit stellt nur mehr sinnlose Fragen, spielt verrückt und kaum hörbar, als wäre es ein Produkt unserer Phantasie kleben deine Wörter "Pfiert enk" zwischen Ohrenwände.
Zwischendurch Aufatmen, das Wassergeschrei der Hoffnung, köchelt den Abschied, die gelbe Kirchtagssuppe des Todes. Die saligen Frauen sind bereit. Die Erste liegt in der strickenden Ferne, weist dir den Weg. Die Zweite schreit den erstickenden Aufbruch: "Jetza astickt da, gemma!" Die Dritte lässt die über Jahrzehnte gehaltenen Hände los.
Nebenbei steht dein Diener, dem beizeiten die anderen den Namen gegeben haben. Zur Zeit etwas steif und hält deiner rechte Hand. Zwischen der Beobachtung, der Begleitung weint er. Seine Erinnerung, seine Erzählung sind nicht wahr, nur mit den Tränen der Wirklichkeit vermischt und er hat dir deinen Jagdstock gegeben, dich bis zu deiner Tür begleitet, sich französisch verabschiedet, wissend, dass er mit den Geheimnissen seines Herren und Vaters nichts zu tun haben darf.
Zwischendurch wird dein Atmen langsam, bisweilen still. Dein Gesicht ist blau, dein Mundwinkel ist ein schlaffe Schiefe, deine grauen Augen sind leer und deine Träume schieben und drücken deine dritten Zähne auf das Windeltuch der Fürsorge. Ein vorübergehender Turnusarzt, reinigt dir beiläufig noch den Kehlkopf deiner stummen Schreie. OHNE WASSER HAST DU DEINE ZÄHNE ÜBERGEBEN, die gurgelnden Wasserschreie des Abschieds werden dir noch rechtzeitig abgesaugt.
Jetzt hörst Du auf zu atmen, der vorübergehende Arzt legt ein Stück Metall auf den Resonanzkörper deiner Stille und in dieser, deiner Stille halte ich deine Hand, spür mit deinem kleinen Finger noch immer den Pulsschlag, das Echo deiner Zeit...
28. 6. 95