2003-11-10
Wer jetzt kein Haus hat
Manchmal denke ich voraus. z.B.: Was mache ich, machen wir, zu Silvester? Lustig soll es sein, auch besinnlich, alles soll bestens sein und wünschen darf man sich auch was. Heut ist es mir eingefallen, nein, eigentlich rausgefallen, aus einem Buch, ein Blatt, dass sich löste. Auf diesem Blatt sind von mir einige Glückstantras notiert. Ich erinnere mich. Im letzten Jahr zu Silvester durften einige Auserwählte so ein Glückstantra aus Nepal ziehen. Eines gefällt mir besonders:" Lerne Dein Lieblingsgedicht auswendig!" Es ist kein Zufall, denn ich hab jetzt meine Zeit. Der Herbst ist meine Zeit und in dieser Zeit brauch´ ich Gedichte.So lese ich es immer wieder. Wiederhole es zum xten Male:
HERBSTTAG
Rainer Maria Rilke
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg Deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Diese Zeile hat mir als Kind immer Angst gemacht, machte mich wütend und traurig. Ich dachte an die vielen Kinder in Afrika, von denen uns der Herr Pfarrer erzählt hatte. Da entstand auch mein Wunsch: Entwicklungshelferin zu werden. Doch sie haben mich in Wien abgelehnt, mich auf meine eigene Entwicklung hingewiesen und mir eine Reifezeit von 2 Jahren eingeräumt. So schreib ich heute noch Briefe, wache, lese und wandere von früh bis spät. Ich glaub`, ich hab das Gedicht missverstanden.
Heute besuchte ich meine alten Eltern, meine Mutter, die es vorzog in einem Pflegeheim ihren Herbst zu verbringen und meinen ebenso kranken Vater der darauf beharrte seinen Lebensabend im eigenen Haus ab zu warten. Beide sind sie unendlich einsam . Geblieben ist ihnen die Unruhe und die Angst, die nicht mehr artikuliert werden kann. Ich glaube, ich verstehe das Gedicht jetzt erst