2003-07-03
Die Alz, der Ort, die Kirche, das Grab - Teil III
Vierzig Jahre später
Zwei Großnichten luden herzlich zur Erstkommunion nach Burgkirchen ein. Die St. Pius Kirche,
die Scheune, wie sie, nach ihrer Fertigstellung vor vierzig Jahren, von der Bevölkerung
abschätzig genannt wurde, war lange vor Beginn der Messe "gedroschen" voll. Ich fand noch
einen Platz seitlich vor dem Altar an der Mauer. Mädchen und Buben wurden, wie früher,
getrennt in die rechten und linken Bankreihen geführt, flankiert von Begleitmüttern, das
war neu, und von Digital-fotografierenden Vätern, das war auch neu, umschwirrt. Der Pfarrer,
graumeliert, streng blickend, donnerte ins Mikrofon, dass er jeden, der es noch einmal
wagen würde, zu fotografieren, aus der Kirche weisen würde. Die Messe begann. Gedichte,
Ansprachen und Gesang wechselten einander ab. Eine junge Klosterschwester versuchte, laut
und inbrünstig die zaghaften Stimmchen des Kinderchores in die richtige Tonlage zu bringen,
lächelte verzweifelt in die Richtung des gestrengen Herrn Pfarrers und sang immer lauter.
Zu Beginn der Predigt stieg der Pfarrer hoheitsvoll die Stufen vom Altar zu den
Kommunionkindern hinunter, breitete die Arme aus, befahl den Mädchen, endlich die
Hände von ihren kunstvoll aufgesteckten Frisuren und bekränzten Köpfen zu nehmen, sich
nicht mehr zu kratzen und aufzupassen. "Liebt Ihr Eure Eltern?" säuselte er. Gemurmel und
eifriges Kopfnicken der Kinder. "Auch sie lieben Euch", vereinzeltes Kopfnicken, "und wir
alle lieben Christus", vereintes Kopfnicken. Dann folgte das Gleichnis vom Weinstock und
den Reben ( Ev. Johannis 15, 2.6.). Der Pfarrer eilte in die Sakristei, kam mit einer
frisch abgeschnittenen grünen Weinrebe zurück, hielt sie den Kindern unter die Nase und
fragte, was nun mit dem Zweig geschehen würde. Verdorren würde er, den Kopf hängen lassen,
verschimmeln, Läuse kriegen, viel wäre den Kindern noch eingefallen, wenn sie nicht barsch
durch die erhobene, schneidende Stimme des Pfarrers unterbrochen worden wären: "Seht Ihr,
deshalb wurde er abgeschnitten und muss ins Feuer geworfen und verbrannt werden, er wird
keine Früchte tragen!" Eine Begleitmutter in meiner Nähe schaute dem Pfarrer andächtig auf
die Lippen, nickte ergeben und heftete ihren Blick verklärt auf den Gekreuzigten.
Neben mir kicherten zwei Buben und zeigten mit dem Finger auf ein kleines Mädchen, das
seine spärlich bekleidete Barbie-Puppe, just in dem Moment, als der Pfarrer den
Kommunionkindern ankündigte, dass sie nun demütig den Leib Christi empfangen werden,
in aufreizenden Stellungen turnen ließ. Der Vater der Buben schielte zum Pfarrer, zückte
den Fotoapparat und fotografierte heimlich die unheiligen Handlungen, was zur Folge hatte,
dass viele Väter heimlich hinter dem Rücken des Anderen das Kind mit der Puppe
fotografierten. Waren diese Väter nun gesunde oder kranke Reben?
Auf dem Grab der einhunderteinundfünfzig Kinder bei der St. Johannes Kirche lagen frische
Blumen.