2003-05-20
Die Sonnenblume
Es war einmal eine Raupe. Sie war nicht besonders schön anzusehen. Sie sah so aus, wie Raupen nun einmal aussehen.
Eines Tages aber verwandelte sie sich in eine Puppe. Sie hing an einem Ast und konnte sich nicht rühren. Irgendwie war das ein eigenartiges Gefühl. Sie hing also da und begann zu träumen. Es war finster rund um sie, aber sie träumte von Licht. Manchmal war ihr kalt, aber sie träumte von Wärme. Und wenn sie einsam war, träumte sie von Nähe.
Lange träumte sie nur, doch dann begann sich etwas in ihr zu verändern. Sie bemerkte es am Anfang selbst kaum.
Ihre Träume waren so stark geworden, das sie ein anderes Lebewesen riefen. Ein Sonnenblumenkern, der gerade neben dem Baum, an dem sie träumte, seine ersten Wurzeln trieb, begann durch die Kraft ihrer Träume zu wachsen. Immer höher und schneller schoß die Sonnenblume in die Höhe. Endlich erwachte sie zu vollem Leben, weit leuchtete ihr sonnengelbes Inneres.
Die Raupe fühlte das Erwachen der Sonnenblume und verwendete all ihre Kraft, um auch aus ihrem Schlaf zu erwachen. "Leben will ich endlich, leben!"
Ihre Schutzhaut fiel von ihr ab und sie erwachte als wunderschöner Schmetterling. Bunt leuchteten ihre Flügel auf, als sie sie das erste Mal entfaltete. Stolz und voller Lebenslust erhob sie sich in die Luft, verfiel in einen richtigen Lebenstaumel und tanzte ihren schönsten Tanz.
Da entdeckte sie unter sich im Gras die wunderbare Sonnenblume und flog auf sie zu. Sie landete auf der Blume und sog deren verführerischen Duft ein.
Die Sonnenblume leuchtete hell auf als der Schmetterling auf ihr landete. Gemeinsam erlebten die Beiden einen wunderschönen Sommer. Der Schmetterling flog in weiten Kreisen umher, kehrte aber immer zu der Sonnenblume zurück.
Doch langsam ging der Sommer seinem Ende entgegen. Die Beiden spürten, das ihre Zeit bald vorüber sein würde. Traurigkeit überkam sie. Der Flug des Schmetterlings wurde immer träger und die Sonnenblume ließ ihren Kopf hängen.
Eines Tages dann verließen den Schmetterling seine Kräfte. Sanft schlummerte er auf der Sonnenblume ein. Die Blume murmelte leise: „Bis zum Frühling, dann wird sich auch für uns alles erneuern.“ Sanft schlief dann auch die Blume, um vom Frühling zu träumen.