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2013-02-06

Rede zum Internationalen Holocaustgedenktag, Klagenfurt am 27.1.2013


„Der 5. Mai 1945 war ein sonniger Frühlingstag. Ein dichter Nebelschleier bedeckte die Tiefen der Mühlviertler Täler und den grausilbernen Donaustrom. Im Süden, in weiter Ferne, vom Nebel abgeschnitten, sah man die weißbedeckten Gipfel der Ennstaler Alpen, die Hügel rund um das Lager glänzten im Frühlingsgrün“, so erinnert sich Hans Marsalek, damals als „Lagerschreiber“ selbst KZ-Häftling in Mauthausen, an diesen Tag, der als „Tag der Befreiung“ in seinem und im Leben zehntausend anderer Menschen eine einzigartige lebensgeschichtliche Bedeutung bekommen sollte.

„An diesem herrlichen Tag, etwa um 12.00 Uhr, hörte man zuerst von der von Nebelschwaden verdeckten Zufahrtsstraße ein starkes Motorengeräusch und dann ... dann kamen langsam in das Sonnenlicht hervor: ein weißer Personenkraftwagen mit Haeflinger, dem Wiener Feuerschutzpolizisten, sowie zwei amerikanische Panzerspähwagen! Unweit des Krankenlagers blieben sie zuerst stehen. Im gleichen Augenblick wurden die Torflügel des Sanitätslagers von den Insassen weit aufgerissen. Hunderte und Hunderte Männer, Frauen und Kinder strömten in wilden Haufen zu den Fahrzeugen. Die meisten waren halb nackt, nur mit Lumpen bedeckt, manche ohne jede Bekleidung, halb verhungerte Geschöpfe, lebende Skelette. Es war, als hätte sich ein Massengrab geöffnet. Manche waren ohne Beine, andere kamen auf einem Bein hüpfend, manche schleppten sich auf allen Vieren kriechend oder robbend heran, sie alle versuchten die Tanks und die lebensrettenden Soldaten zu berühren. Die anderen, völlig Entkräfteten oder kaum Bewegungsfähigen, wälzten sich im Staub und Schlamm der Lagerstraßen, versuchten die Hände oder zumindest den Kopf in Richtung Panzerfahrzeuge zu strecken. Auch sie wollten die Befreier begrüßen, ihnen danken. Die meisten Häftlinge weinten, manche tanzten oder hüpften vor Freude herum, schrien in hysterischer Freude. Andere wieder wurden vor Freude ohnmächtig und viele, ja sehr viele sind gerade in diesen Minuten der so sehnsüchtig erwarteten und endlich erfolgten Befreiung gestorben.“[1]


Die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Jänner 1945, rund drei Monate vor Mauthausen, wurde nicht weniger herbei gesehnt. Ihr kommt wegen der historischen Dimension und Einzigartigkeit des Lagers innerhalb der Befreiungsgeschichte ein hoher Stellenwert zu. Warum?
Bereits eine Woche davor formierte die Lager-SS sog. Evakuierungstransporte, die später „Todesmärsche“ genannt wurden: Die Lager-SS selbst und Zehntausende Häftlinge, die als „gehfähig“ eingestuft wurden, verließen in der Nacht zum 18. Jänner 1945 das Lager Auschwitz. Zurück blieben die Kranken und die Nichtgehfähigen. Unter ihnen war der Italiener Primo Levi, Sohn jüdischer Eltern aus Turin, gelernter Chemiker und wegen seiner Zugehörigkeit zum antifaschistischen Widerstand verhaftet. Primo Levi verbrachte diese letzte Phase des Holocaust in der Krankenbaracke von Auschwitz III; er war zu schwach, um sich dem Evakuierungstransport anzuschließen. Er versuchte in seiner Baracke das Weiterleben der Kameraden und die Hoffnung auf die Befreiung aufrecht zu erhalten. Später sollte er erfahren, dass fast alle Häftlinge des Evakuierungsmarsches umgekommen sind, unter ihnen auch seine Freunde und Kameraden. Die Verhältnisse in seiner Krankenbaracke, einen Tag vor der Befreiung, also am 26. Jänner 1945, schildert Primo Levi in seinem berühmten Buch „Ist das ein Mensch?“.[2] Es sind die prekären Lebensumstände von Menschen, die am eigenen Leib erleben mussten, dass sie in den Augen der Herrenmenschen zu Gegenständen, zu Dingen wurden, Umstände, unter denen sich die KZ-Häftlinge schließlich auch selbst nicht mehr als Menschen fühlen und verhalten konnten:
„Wir lagen in einer Welt der Toten und der Larven. Um uns und in uns war die letzte Zivilisation geschwunden. Das Werk der Vertierung, von den triumphierenden Deutschen begonnen, war von den geschlagenen Deutschen vollbracht worden.“ (S. 178)
Damit formuliert Primo Levi das doppelte Verbrechen der Nazi-Deutschen: Sie haben nicht nur Millionen Menschen systematisch vernichtet; sie haben die von ihnen unterjochten Menschen auf das Niveau von Un-menschen erniedrigt und ihnen damit auch noch den letzten Rest von zivilisatorischer Existenz und menschlicher Würde genommen.
Beim Lesen Primo Levis Schriften bekommen wir eine Vorstellung von der Dimension dieses doppelten Verbrechens. Und wir bekommen eine Ahnung davon, dass sich die wirkliche Befreiung nicht an einem Tag vollziehen konnte. Primo Levi schreibt: „Mensch ist, wer tötet, Mensch ist, wer Unrecht zufügt oder leidet; kein Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam teilen kann. Wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit dem Sterben zu Ende ist, damit er ihm sein Brot abnehmen kann, der ist, wenngleich ohne Schuld, vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt als der (...) grausamste Sadist“. (S. 178)
Was für eine erschütternde Wahrheit, was für eine tiefe selbst erlebte Erkenntnis! Sie lässt in Umrissen erkennen, was der Holocaust in Wirklichkeit war: nämlich keine Kriegshandlung, kein unberechenbares, emotionsgeladenes Massaker, kein „gewöhnliches“ Massensterben von angeblichen „Gegnern“. Der Holocaust war etwas qualitativ Anderes: ein Zivilisationsbruch, ein Verbrechen an der Menschheit schlechthin. Deshalb ist der Holocaust auch nicht vergleichbar mit den späteren Massenverbrechen auf Seiten einiger „Sieger“, die nach der Befreiung aus Rachebedürfnis und im Blutrausch, abseits von ordentlichen Gerichten, das Töten als „wilde Selbstjustiz“ und als „Nachkrieg“ fortsetzten.


„Die Freiheit kam im Mai“, so heißt das ins Deutsche übersetzte Buch des ehemaligen griechischen Mauthausen Häftlings Iakovos Kambanellis. [3] „Die Freiheit kam im Mai“ ist ein authentischer Erlebnisbericht in Romanform. Der Autor, Iakovos Kambanellis, der 2011 88jährig in Athen verstarb, erzählt in diesem Buch von seiner Befreiung in Mauthausen, unter anderem im Rückblick auf seine Zeit als Häftling. Kambanellis gehörte zu den bekanntesten griechischen Dichtern, Dramatikern, Drehbuchautoren und Schriftstellern der Nachkriegszeit, was man allein schon daran erkennen kann, dass einige seiner Mauthausen-Texte von Mikis Theodorakis vertont wurden. Während die Mauthausen Kantate von Theodorakis Weltruhm erlangte, wurden die Werke des ehemaligen Mauthausen-Häftlings und Textdichters Kambanellis, zumindest in Österreich, weit weniger bekannt. Nur Mauthausen Spezialisten wissen z. B., dass Kambanellis der Vertreter Griechenlands im Internationalen Komitee war, das sich in Mauthausen in den letzten Monaten als „illegaler Lagerwiderstand“ gebildet hatte.[4] Dass der Mensch Iakovos Kambanellis nicht nur in Griechenland einen legendären Ruf hatte, verdankt sich dem Umstand, dass er sich als Nichtjude wie kein Zweiter nach der Befreiung für die jüdischen Häftlinge von Mauthausen eingesetzt hat. Er blieb freiwillig bei ihnen, quasi als Mentor und Vermittler zu den Engländern, die die jüdischen Häftlinge nicht nach Palästina ausreisen lassen wollten. So kehrte Kambanellis selbst erst im August 1945 in seine griechische Heimat zurück.
Dass KZ-Häftlinge wie Primo Levi oder Iakovos Kambanellis unter den Bedingungen von Auschwitz und Mauthausen sich ihr Menschsein bewahren konnten und darüber hinaus noch den Mut zum Widerstand aufbrachten, ist durch ihr Zeugnis unwiderlegbar verbürgt. Mehr noch: Die „Befreiung“, so Primo Levi, öffnete das Tor für alle zum Weg zurück zum Menschsein. Für die Befreiten war dies oft ein langer und schwieriger Weg. Auch für die Befreier war es nicht einfach. Für sie war die Befreiung ein schockierender Blick in den tiefsten Abgrund menschlichen Handelns. Sie waren plötzlich, unvorbereitet und hautnah, konfrontiert mit dem Endprodukt des Holocaust, mit dem permanenten Sterben und der industriellen Vernichtung unschuldiger Menschen.
Sich der Befreiung dankbar zu erinnern erscheint mir ebenso wichtig, wie das Gedenken an die Holocaustopfer, die die Befreiung nicht mehr erleben durften. Beides ist Mahnung und Warnung, denn die „Befreiung“, die wahre Freiheit wird dem Menschen nicht geschenkt; sie muss erkämpft und tagtäglich praktiziert werden. Die Warnung der Überlebenden lautet: Was einmal geschehen ist, kann wieder geschehen. Die bloße Erinnerung an den Holocaust wird die Menschheit nicht vor neuer Unmenschlichkeit bewahren. Insofern ist die Geschichte des Holocaust keine „alte Geschichte“ sondern eine aktuelle Warnung vor den Anfängen und dem Gesellschaftsfähigwerden von Fremdenhass, von Rassismus und Antisemitismus. Und diese Mahnung gilt es nicht nur an Gedenktagen zu beherzigen.

[1] Hans Marsalek, Mauthausen, Wien / Linz 1995, S. 334/335. zurück zum Text

[2] Primo Levi machte seine ersten Aufzeichnungen noch im KZ, was in jedem Fall lebensgefährlich war. Er publizierte dann sein Buch ‚Se questo è un uomo’ erstmals 1958 in italienischer Sprache; die deutsche Erstausgabe erschien 1961. zurück zum Text

[3] Aus diesem Buch wurden bei der Gedenkveranstaltung am 27.1.2013 Ausschnitte gelesen, in der Übersetzung von Elena Strubakis, die auch selbst las, neben und mit Franz Richard Reiter, der in seinem Wiener Verlag 2010 das Buch herausgebracht hat.zurück zum Text

[4] Im Buch von Hans Marsalek „Mauthausen“, Wien/Linz 1995 (S. 320), scheint Iakovos Kambanellis mit dem französischen Vornamen „Jacques“ auf. Dahinter stand Methode: Es war eine übliche Form der „linguistischen Demütigung“, Namen nicht in der jeweiligen Landessprache in die Karteikarte einzutragen.zurück zum Text
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