2013-01-26
Wie steht es um die Biodiversität?
Interview von Franziskus Forster:
1. Wie rasch schrumpft die Biodiversität und was ist das Problem daran?
Biologische Vielfalt – oder Biodiversität – hat drei Komponenten: Erstens die Vielfalt von pflanzlichen und tierischen Arten und Mikroorganismen – das, was den Lachs, die Motte, das Coli-Bakterium, den Löwenzahn oder den Gorilla vom Menschen bzw. voneinander unterscheidet.
Zweitens die Vielfalt innerhalb einer Art – sie bewirkt, dass jeder Mensch sich im Aussehen und Wesen vom anderen unterscheidet. Alle Menschen gehören zur Spezies
Homo sapiens sapientissimus; eine ähnliche Vielfalt existiert innerhalb jeder Art von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen. Und drittens die Vielfalt der Ökosysteme – ohne ihre natürlichen Lebensräume können Arten kaum leben und sich weiter entwickeln. Wenn Ökosysteme wie der Regenwald zu klein werden, gerät der Wasserhaushalt der Erde in Gefahr. Schädliche Klimagase in der Atmosphäre können sie nicht mehr auseichend abbauen und unser Planet wird zu warm. Auch Weidegebiete, Moore und Ozeane speichern große Mengen Klimagase und dürfen nicht noch weiter zerstört werden.
Das gesamte Wissen, das der Mensch über die Biodiversität entwickelt und über tausende Generationen weitergegeben hat, gehört ebenfalls zur Biodiversität. Auch die landwirtschaftliche Vielfalt gehört dazu, und hier ist das Besondere, dass Kulturpflanzensorten und Nutztierrassen ohne den Menschen nicht lange überleben würden. Drei Viertel der hunderttausenden Kulturpflanzensorten ist verloren, und von den ca 6-10.000 Nutztierrassen verschwindet ca. eine pro Monat. Wir brauchen Menschen, die die Reste der landwirtschaftlichen Vielfalt nutzen und pflegen, denn in Genbanken ist sie wie lebendig begraben und kann sich nicht an Veränderungen anpassen.
2. Können Sie das vielleicht anhand von Beispielen illustrieren?
Durch Stickstoffeinträge vor allem aus der industriellen Tierhaltung sind bereits jetzt weltweit Meeresflächen von etwa sechsmal der Größe Österreichs biologisch tot. Ähnliches gilt für die Böden. Agrochemie ist die Ursache des Humusverlustes der meisten weltweiten Ackerflächen. Die Bodenorganismen sterben ab.
3. Wie versucht ihr, aktuelle Politiken zu verändern? Welche Punkte sind für euch da derzeit am dringendsten?
Die industrielle Landwirtschaft ist einer der größten Verursacher von Klimaerwärmung und Biodiversitätsverlust. Agrarchemie schadet nicht nur der menschlichen Gesundheit, sondern auch den Böden, dem Wasser und der Atmosphäre und der Biologischen Vielfalt. Die Reform der EU Agrarpolitik bietet Chancen.
Zur Zeit sind besonders Bestäuberinsekten, nicht nur die Honigbiene, gefährdet, denn die Agrochemie-Lobby hat Wissenschaft und Politik dazu gebracht, die Augen vor der Giftigkeit bestimmter Pestizide und auch von Gentechnologien zu verschließen. Die Risikoforschung ist minimal, wie die Ergebnisse von Gilles-Eric Séralini
[1] aus Frankreich ans Licht gebracht haben.
Wir möchten auch die EU-Saatgutrechtsreform dahin bewegen, dass Sorten für den Eigenanbau nicht amtlich zugelassen werden müssen. In den Gärten kann eine große Vielfalt gepflegt werden, die der gesamten Kulturlandschaft und der menschlichen Gesundheit sehr zugute kommen kann.
Verhindert werden muss auch die Beimischungsquote von Agrokraftstoffen und alle anderen Ansätze, Biomasse in großem Stil zu verbrennen.
Schlecht ist auch die Idee, Biodiversitätsvernichtung an einem Ort zu gestatten, wenn an einem anderen Ort Biodiversität geschaffen wird. Diese „Offsets“ funktionieren schon nicht im Klimabereich, wo es die Rechengröße CO2 gibt. Papier ist geduldig. Die Definition von Wald schliesst bei solchen Massnahmen auch Monokulturen ein. Während über solchen Unsinn seit Jahren verhandelt wird, gehen Artensterben und Klimaerwärmung ungebremst weiter.
4. Gibt es auch Erfolge der Politiken zum Schutz der Biodiversität?
Über zwei gefährliche Technologien hat die Staatengemeinschaft ein Moratorium, also ein befristetes Verbot verhängt. Die eine ist Geoengineering, das sind großflächige Anwendungen wie z.B. Eisendüngung der Meere, um damit Algenwachstum anzuregen und dadurch Klimagase zu binden. Solche Technologien können unabsehbare Folgen haben. Außerdem sollen sie davon ablenken, dass die Nutzung fossiler Energien und von Atomenergie unbedingt aufhören muss. Das zweite Moratorium betrifft Terminatortechnologien, mit denen die Agroindustrie ihr Saatgut steril machen möchte, um die Bauern noch tiefer in die Abhängigkeit zu führen.
In Deutschland beabsichtigt die nationale Biodiversitätsstrategie, den Stickstoffeintrag in Böden von über 100 auf 80 kg pro Hektar zu senken. Das ist aber nur eine Absichtserklärung. Gleichzeitig wird die Tierproduktion für den Export gefördert – unser Markt ist längst gesättigt. So sieht Erfolg leider nicht aus. In Österreich konnte dank Arche Noah das Saatgutrecht so interpretiert werden, dass landwirtschaftliche Vielfalt eine gute Chance hat. Das darf nicht durch die Reform des EU-Saatgutrechts wieder gefährdet werden.
5. Wie schätzen Sie die Ergebnisse der diesjährigen UNO-Konferenz zur „Konvention für Biologische Vielfalt“ ein?
Auch wenn diese Konvention wesentlich geringer ausgestattet ist als die Klimakonvention, hat sie gegenüber der Klimakonvention große Vorteile. Die Indigenen und lokalen Gemeinschaften spielen eine wichtige Rolle und konnten bisher dem Einfluss der Industrielobby an einigen Stellen entgegentreten. Das ist bei der Klimakonvention noch viel schwieriger. In Hyderabad wurde u.a. beschlossen, die geringen Finanzmittel für die Biologische Vielfalt bis 2015 zu verdoppeln. Man muss sehen, was das Geld bewirkt. Wichtig erscheint mir, dass ein Angriff auf das Terminator-Moratorium abgewehrt werden konnte, und dass eine Geoengineering-Aktivität durch ein kanadisches Unternehmen als Verletzung des Moratoriums diskutiert werden konnte. Zu wenig Fortschritt gab es, die Synthetische Biologie
[2]einzuschränken.
[1] Die Forscher um Gilles-Eric Séralini von der Universität Caen hatten Ratten zwei Jahre lang mit der in Europa zugelassenen Mais-sorte NK 603 des Agrarkonzerns Monsanto, mit dem Herbizid Roundup oder mit Kontrollmais gefüttert und dabei festgestellt, dass der gentechnisch veränderte Mais und das Herbizid ähnliche Schäden (Tumore, Nierenschäden, Leberschäden) verursachten (Red.)
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[2] Die synthetische Biologie ist ein Fachgebiet im Grenzbereich von Molekularbiologie, organischer Chemie, Ingenieurwissenschaften, Nanobiotechnologie und Informationstechnik. Sie wird von einigen ihrer Vertreter als die neueste Entwicklung der modernen Biologie bezeichnet. Im Unterschied zur Gentechnik werden nicht nur z. B. einzelne Gene von Organismus A zu Organismus B transferiert, sondern das Ziel der synthetischen Biologie ist es, komplette künstliche biologische Systeme zu erzeugen. Statt einzelne Gene von einem Organismus in einen anderen zu transferieren, wird der genetische Code „programmiert wie ein Computer“, um biologische Systeme mit neuen Eigenschaften zu erzeugen, die in der Natur nicht vorkommen. (Red.) Umfassender Bericht unter
http://www.testbiotech.de/zurück zum Text
Im Netz abrufbar: :
Susanne Gura: Fleisch vom nächsten Planeten: Der dreifache Widerspruch zwischen industrieller Tierhaltung und biologischer Vielfalt. 2010:
http://www.iufe.at/
Weitere Artikel der Serie zum Thema Biodiversität:
Georg Grabherr:
Hat die Biodiversität einen Nutzen oder ist sie ein Wert an sich?
Andreas Exner:
Wie kam die Vielfalt in die Ökobewegung?
Robert Foltin:
Bunt statt grau – soziale Bewegungen verändern den Kapitalismus
Zeitschrift SOL, Sonderbeilage "Sustainable Austria" zum Thema Biodiversität:
www.nachhaltig.at