2003-04-29
Die Puppe und der Mann
Es lebte einmal ein Mann, der ein ausgezeichneter Handwerker war. Er war allseits sehr beliebt und hatte immer mehr Arbeit, als er bewältigen konnte.
Einmal war er dabei, den Dachboden eines alten Hauses zu entrümpeln. Meist lohnte sich eine solche Arbeit für ihn, denn immer wieder fand er etwas, das er noch verwenden konnte. Diesmal aber schien nichts Brauchbares dabei zu sein. Es schien nur Gerümpel zu geben.
Erst als er fast fertig war, entdeckte er unter einem einst sehr schönen Seidentuch eine Puppe. Er nahm sie an sich, mit sich nach Hause. Eigentlich konnte er nicht sagen, was ihm an ihr gefiel. Sie war nichts besonderes, weder besonders schön, noch alt genug um wertvoll zu sein.
Zu Hause stellte er sie in den Kasten und vergaß sie für einige Zeit.
Genau in dieser Zeit aber begann sich sein Leben zu verändern. Irgendwie schien nichts mehr zu klappen, die Aufträge blieben aus, er fühlte sich einsam. Da erinnerte er sich an die Puppe und holte sie aus dem Kasten. Begann, mit ihr zu spielen und auch mit ihr zu sprechen. In dieser Zeit vergaß er seine Sorgen. Ihre Gespräche waren gute, offene Gespräche, die Puppe hörte ihm immer zu. Sie verstand und antwortete mit ihrem Herzen, das längst für den Mann zu schlagen begonnen hatte. Es war für Beide eine sehr schöne Zeit. Der Mann begann, sein Leben besser und intensiver zu leben. Die Puppe war immer öfter bei ihm. Sie begann immer mehr zu leben, und die Beiden sehnten sich oft nacheinander.
Eines Tages wurde die Kraft der Puppe so groß, das sie von selbst aus dem Kasten stieg und losmarschierte. Etwas ängstlich nahm sie all das Leben um sich herum wahr. Es gab so viel Neues zu entdecken, und doch schüchterte diese Welt sie auch ein. Plötzlich entdeckte sie in all dem Wirbel um sich herum ihn. Sie freute sich so sehr, dass man ihr Herz laut schlagen hörte. Sie stürzte auf ihn zu. Voller Freude und Erwartung.
Er sah sie an und erschrak. „Was tust du denn hier?“ fragte er mit ungläubigen Augen. „Du gehörst nicht hierher!“ Der Puppe fehlten die Worte. Sie stand einfach nur da, und langsam erlosch das Leben in ihr. Er aber drehte sich einfach nur um und ging. Den Schrei, der tief aus dem Inneren der Puppe kam, hörte er nicht mehr.
Lange Zeit stand die Puppe an diesem Fleck und rührte sich nicht mehr. Irgendwann einmal kam eine Familie und nahm sie mit sich. Sie stellten sie in eine Glasvitrine, und dort steht sie heute noch. Jeder, der sie anschaut, bewundert ihre Augen, die aussehen, als würden sie weinen, und die doch voller Hoffnung sind.