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Ulrike Gladik

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2011-02-10

Chronologie einer Verhetzung

Die Freiheitlichen in Klagenfurt fordern ein Bettelverbot. Die Kronenzeitung macht Stimmung. In Klagenfurt und Lienz hätten Bettler in Kirchen Gläubige geohrfeigt, schreibt sie im November. Die Polizeibeamten, die dort zitiert werden, sind allerdings unauffindbar. Auch die Anzeigen. Ja selbst die Täter, Zeugen und Watschenopfer. Doch die Geschichte setzt sich fest. In den Köpfen von Politikern und ihrem Wahlvolk. Von Kirchenvertretern und ihren Schäfchen. Bettelverbote werden gefordert - und Gewalt.

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Wie würden Sie „organisiertes“ Betteln definieren, Herr Stadtrat?
„Erstens amol aggressives Betteln und daun holt, wo ma merkt, dass holt die Leute überhaupt nit amol von Österreich sein, keine österreichische Staatsbürgerschaft ham, dass irgendwas daherstammeln, sich nicht einmal ausweisen können, dann ist das für mich organisiert.“
Der freiheitliche Klagenfurter Stadtrat Germ zur Zeitschrift Augustin

„Auf die Bettelhand steigen“ empfiehlt ein Poster auf krone.at. Und in diesem Tonfall geht es gleich weiter: Knüppel, Arschtritte und Pfefferspray werden da gefordert, um sie gegen Bettler einzusetzen. Der Kärntner Volkszorn kocht über. „Profischnorrer“ aus dem Osten hätten im Klagenfurter Dom Gläubige geohrfeigt und ältere Damen angeschrieen. Sogar Dompfarrer Allmaier bestätigt das. Der Pfarrer empfiehlt den Gläubigen, vorsichtig zu sein. So steht es jedenfalls in der Krone. Am 29.11. Drei Tage davor hatte der blaue Klagenfurter Stadtrat Germ einen Antrag auf Änderung des Landessicherheitsgesetzes eingebracht: „Organisiertes“ Betteln sollte an vielen Orten verboten werden.


Natasha
Ein Film von Ulli Gladik
Natasha lebt in einer kleinen Stadt in der Nähe von Sofia/Bulgarien. Um ihre Familie zu ernähren, fährt sie seit drei Jahren mehrmals jährlich nach Österreich um zu betteln. Ulli Gladik, Kamerafrau und Regisseurin in Personalunion, begleitete Natasha und ihre Familie im Zeitraum von fast zwei Jahren. Der Film zeigt Natashas Alltag als Bettlerin in Österreich und die Lebensumstände in ihrer Heimat.
Nähere Informationen zum Film:
r www.natasha-der-film.at


Die Seite der Bettellobby Wien:
r bettellobbywien.wordpress.com, derzeit u.a. mit einer Kampagne gegen die Verschärfung des Bettelverbots in der Steiermark.

„Wenn es Anzeigen gegeben hätte, wäre mir das sicher bekannt.“ Polizeikommandant Monitzer.

Am 30.11. erfährt der Kronezeitungsleser über ähnliche Ereignisse in Osttirol: „Ohrfeigen wären da überhaupt keine Seltenheit“ erzählt ein namenloser Polizeibeamter, denn wenn die Geschäfte schlecht liefen, würden die Rumänen und Slowaken auch vor Gewalt nicht Halt machen. Die Täter konnten sogar ausgeforscht und angezeigt werden, heißt es da. Zurück blieben verängstigte Bürger, denn „Bettlerbanden ziehen durchs Land und grasen eine Gemeinde nach der anderen ab.“ Der Gesetzeshüter wäre machtlos.

„Das ist mir neu“ sagt Oskar Monitzer, der stellvertretende Polizeikommandant von Lienz zum Augustin. „Ich weiß nicht, mit welchem Beamten da gesprochen worden ist.“ Also keine Bettler, die Menschen attackieren und ohrfeigen? „Nein, damit haben wir bis jetzt kein Problem gehabt. Wenn es Anzeigen gegeben hätte, wäre mir das sicher bekannt“, so Monitzer. Auch Klagenfurts Stadtpolizeikommandant Schluga kann die Vorfälle nicht bestätigen: „Ich hab das extra nachrecherchieren lassen, wir haben aber weder eine Anzeige, noch haben wir Zeugen gefunden. Es gibt allerdings eine Frau, die so genannte „Ein Euro“ Frau. Das ist eine Dame, die bettelt seit Jahren die Leute um einen Euro an, sogar während der Messe.“ Eine Österreicherin hat also während der Messe gebettelt. Aber Ohrfeigen? „Nein, wenn Bettler aggressiv wären, könnten wir ja eingreifen,“ sagt Schluga, und: „Sie müssen eines wissen, 50% der Bevölkerung geben den Bettlern was, 50 % regen sich riesig auf. Und da sind wir mitten drin.“

Und was ist mit den „Hintermännern“?

Schluga: „Das ist allseits bekannt. Die Bettler werden in der Früh gebracht und am Abend werden sie wieder geholt. Im Prinzip gehört das Geld den Bettlern nicht.“

Augustin: „Wie haben Sie das beobachtet?“
Schluga: „Weil alle zwei, drei Stunden einer vorbeigeht und das Geld abkassiert.“

Augustin: „Haben Sie das gesehen?“
Schluga: „So wird es kolportiert, ich selber hab es nicht gesehen, aber so wird geredet.“

Augustin: „Das sind also keine Ermittlungsergebnisse, sondern das sind Beobachtungen, die man in der Stadt macht?“
Schluga: „Das sagen die Leute, ja.“

Und was sagt der stellvertretende Lienzer Polizeikommandant dazu?
„Da sind mehrere Familien gleichzeitig unterwegs, die reisen mit dem Zug an oder mit dem Privatauto.“ Sind sie kriminell organisiert? „Kriminelle Organisation müsste man nachweisen können, sonst kann man davon nicht sprechen“, so der Polizist Monitzer.

Zurück zur Kronenzeitung. Am 3.12. haben sich laut Online Umfrage schon 93% gegen die „Profi- Bettler“ ausgesprochen. Diesmal wird ein anderer Kirchenvertreter zitiert. Der Kärntner Caritaspräsident Viktor Omelko. Er spende auf der Straße keinen Cent, denn „der Großteil der Gelder geht nämlich nur an die Bosse.“ Von „Bossen“ war aber seinerseits keine Rede, dementiert er gegenüber dem Augustin, „wohl aber davon, dass diese Bettlergruppen sippenmäßig organisiert sein könnten.“

Wie aus einem Kombi ein Mercedes wird.

Kronenzeitung, 14.11.:„Troubles für "Ein-Euro-Frau" und Co.“ - Die Freiheilichen fordern Polizeischutz, Zivilstreifen, ja sogar ein generelles Bettelverbot um die „aggressive Schnorrerei“ endlich ahnden zu können. Auch die Kronepostings sind wieder entsprechend: Man solle die Bettler „zu Fuß über die Grenze treiben“. Posterin „Claudi“ meint, dass es das unter Herrn Haider nicht gegeben hätte. Außerdem habe sie Angst, weil „die Zigeuner ja auch Hunde essen. Sie wäre froh, nicht in der Nähe des Minimundus zu wohnen. Denn am selben Tag entdeckte die Krone dort ein „Bettler-Lager“, wo mehrere Familien „hausten“. Auch diesmal bestätigt ein Ermittler (wieder namenlos) die Aggressivität der Bettler: „Wir zeigen sie immer wieder auch wegen aggressiven Bettelns an, aber die meisten tauchen danach unter und werden dann von anderen abgelöst."

Auch diese Anzeigen hat es nicht gegeben, so Stadtpolizeikommandant Schluga zum Augustin: „Wir haben in Klagenfurt zwischen 5 und 15 Bettler. Das sind immer die selben, die kommen schon seit Jahren. Aggressiv sind die nicht, sonst würden wir ja einschreiten.“ Das Lager bestand übrigens aus zwei Zelten.

„Die Armen mussten bei Minusgraden hausen und wurden dann von einem Mercedes abgeholt und in die Stadt zum Betteln gebracht.“ weiß der blaue Stadtrat Wolfgang Germ.

Ein Mercedes also. Haben Sie den auch gesehen, Herr Schluga?
„Wir haben das nicht beobachtet.“

Aber glauben Sie, stimmt das?
„Ja freilich stimmt das, ich bin überzeugt davon. Aber wer das ist, das haben wir nicht beobachtet, wir müssten sie 24 Stunden observieren, wir haben das eine Zeitlang gemacht und haben einen weißen Kombi gesehen, der sie in die Stadt gebracht und wieder rausgeführt hat. Und jetzt soll das halt ein Mercedes sein.“

Augustin: Aber die Bettler sind ja wahrscheinlich mit dem Auto aus der Slowakei gekommen?
„Jaja, freilich. Wie gesagt, das mit dem Mercedes hört man über fünf Ecken.“

Am nächsten Tag wurden die Zelte von Magistratsbeamten entfernt. Um zu erfahren, was mit den Menschen passiert ist, die hier genächtigt haben, rufen wir bei der Stadtverwaltung Klagenfurt an und werden gleich mit dem freiheitlichen Stadtrat Germ verbunden, denn „der kennt sich da aus“. Germ erzählt uns schließlich genau das, was wir davor schon in der Kronenzeitung gelesen haben. Als wir ihn darauf hinweisen, dass die Polizei weder Anzeigen, noch Ergebnisse, noch Beweise zu aggressiven Übergriffen und „Hintermännern“ hat, meint er: „ Das wird die Polizei halt nicht öffentlich sagen.“

Er jedenfalls wisse, dass die Bettler in der Früh von einem Auto abgeholt und in der Innenstadt abgesetzt werden: „Dann wird den ganzen Tag gebettelt und am Abend kommt wieder der Oberguru von denan und dann fahren sie wieder raus und schlafen wieder in der Nacht. Das wiederholt sich immer wieder.“

Und wer ist der Oberguru?
Stadtrat Germ: „Das dürfen sie mich nicht fragen, das ist ja organisiert bitte!“

Ist der nicht gefunden worden?
Stadtrat Germ: „Keine Ahnung!“

Auch ihm wurde das erzählt, vor Ort, von Passanten, die das auch zur Anzeige gebracht hätten. Auch wenn’s diese Anzeigen nicht gibt. Stadtrat Germ:„Ich weiß nur, dass die Personen in der Innenstadt gebettelt haben und dass das einfach organisiert ist. Man muss das einfach so zur Kenntnis nehmen!“ Außerdem stehe sogar die Kirche hinter seinen Bettelverbotsforderungen.

Dompfarrer Allmaier berichtet uns, dass ihm die Geschichte mit den Ohrfeigen erzählt wurde. Die Frau will allerdings nicht befragt werden. Und er selbst fühlt sich von den Medien instrumentalisiert. Er hat nichts gegen Bettler. Er findet es sogar romantisch, wenn im Sommer in der Altstadt Bettler sitzen und Gitarre spielen: „Das ist nett, da gebe ich gerne was“, so der Dompfarrer. Man müsse allerdings unterscheiden, ob das arme Leute sind, denen man helfen muss, oder ob es hier um „Bettlerunwesen“ geht, denn das sollte man einstellen, so der Dompfarrer. Auch die Katholische Aktion Kärnten fordert in ihrer Presseaussendung Gesetze um „gegen die sich in der Nähe zum Menschenhandel befindliche Praxis, etwa im Rahmen des organisierten Bettelns“ einschreiten zu können. Woher sie ihre Kenntnisse über diese Praxis hat? „Das ist ja allgemein bekannt!“ so die Pressesprecherin zum Augustin.

Es ist ja allgemein bekannt

Die Geschichte mit dem „Bettelunwesen“, den „Hintermännern“, den „Schleppern“ und „Ausbeutern“. Und dass sie mit einem Mercedes fahren. „Bekannt“ ist auch, dass „Zigeuner“ Hunde essen, in „Lagern hausen“ und „sippenmäßig“ organisiert sind. Bekannte Geschichten, die von Pressesprechern, Politikern und Kirchenvertretern als Tatsachen bestätigt werden. Unhinterfragt. Ungeachtet wissenschaftlicher Studien, die diese Gerüchte schon seit Jahren dementieren. Ungeachtet dessen, dass Geschichten dieser Art vor 70 Jahren zur Ermordung von einer halben Million Roma und Sinti geführt haben.

Nichtsdestotrotz. Die Geschichten sind praktisch. Für die Medien, weil sie ihre Schlagzeilen haben, für Passanten, weil sie ohne schlechtes Gewissen an Bettlern vorbeigehen können, für Kirche und Politik, weil sie sich nicht um Armut kümmern müssen. Und wenn das Volk mal unzufrieden ist, wird es seinen Zorn nicht gegen Kirche, Staat und Regierung richten, sondern gegen eine Gruppe, die ihm schon immer äußerst suspekt war.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Zeitschrift AUGUSTIN.

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Ersuchen um Unterstützung:
r Petition gegen die geplante Verschärfung des Bettelverbots in der Steiermark!

Eine sehr gute Argumentationshilfe findet sich unter:
r Wiener Bettlerinnen Mythen

Zum Hintergrund:
r Houston, wir haben ein Bettler-Problem (?)

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