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Martin Mittersteiner

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2010-10-27

Das Denkmal der Namen – Villachs klaffende Wunde

Rede am Denkmal der Namen, Villach, Gedenkveranstaltung vom 21.10.2010

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Dieses Denkmal der Namen ist Villachs klaffende Wunde. An diesem Ort sollte eigentlich an die Villacher Opfer der Nazizeit erinnert werden. An die Opfer einer Zeit, in der die Menschen zu einem derartig unvorstellbaren Hass fähig waren, dass alles menschliche aus ihnen wich und innerhalb kürzester Zeit eine gigantische Vernichtungsindustrie aufgebaut werden konnte. Jeder Einzelne wurde in dieser Vernichtungsindustrie ein kleines Rädchen, das sich eifrig mit all den anderen Rädchen zu drehen begann, Zahn in Zahn, immer schneller, es musste gar nicht geredet werden, man wusste Bescheid, jeder Handsgriff saß bei der systematischen Vernichtung von Menschwürde und Menschenleben, millionenfach. Das Monster, zu dem die Gesellschaft innert kürzester Zeit mutiert war, sah niemand so recht vor lauter Rädchen, die sich immer toller drehten ohne nachzudenken. Man hat ja nichts gewusst. Man hat nur effiziente Zugpläne erstellt. Und einmal dem Nachbarjungen so nebenbei in den Mund, wie er da am Platz hockte und etwas wegputze, in den Mund, ohne sich groß etwas dabei zu denken. Weil er geschrieen hat wie man ihm so halbabsichtlich auf die Hand getreten ist, in den offenen Mund gespuckt, dem Nachbarjungen, das war alles. Dieses Denkmal sollte an das Einzelschicksal jener Villacherinnen und Villacher erinnern, die von ihren Mitmenschen im Stich gelassen, gedemütigt, misshandelt, abgeführt und ermordet wurden. Dieses Denkmal sollte an die Wunde erinnern, die die Mehrheitsbevölkerung damals in die Gesellschaft gerissen hat, an die Villacherinnen und Villacher, die durch ihr Wegschauen oder Hinspucken ihren Teil zur Entmenschlichung aller beigetragen, ihr Loch in die Wunde gehackt haben, eine Wunde so tief, dass man daran zweifeln musste, ob es jemals wieder menschlich zugehen könnte in dieser Stadt.

Es ist zutiefst erschütternd, zu welchen Gräueltaten die Menschen hier vor nicht allzu langer Zeit fähig waren. Dieses Denkmal erinnert an die Wunde von damals und gibt den Opfern ihre Namen zurück. Dieses Denkmal ist aber heute selbst Villachs Wunde. Es hält uns vor Augen, dass vor 65 Jahren keineswegs ein Schlussstrich gezogen wurde. Es ist nur ruhig geworden in Villach; wer gut im Wegschauen ist, wird von einer Idylle sprechen. Und dann liegt da mitten in dieser Idylle ein Denkmal in Scherben. Wie eine Anklageschrift prangen die verstreuten Splitter auf den Pflastersteinen. Sie zeigen, dass in dieser Stadt Menschen leben, die auf die Namen von Jüdinnen und Juden, Partisaninnen und Widerstandskämpfern, Sinti und Roma eindreschen, richtig brutal eindreschen, nicht bloß zur Gaude eine Bierflasche werfen, in einem Moment, wo alles ein bisschen außer Kontrolle geraten ist, sondern minutenlang eindreschen, noch einmal und noch einmal auf die Namen der Opfer eindreschen, so wie damals nicht bloß in einer Nacht die Bevölkerung ein bisschen außer Kontrolle geraten ist und ein paar Schaufensterscheiben zerschmissen hat, sondern noch einmal und noch einmal auf die verhassten Mitmenschen eingedroschen hat, nicht bis sie tot waren, sondern bis sie in Fetzen lagen, bis nichts mehr von ihnen da war, jahrelang, immer brutaler, immer seelenloser, wegschauen, eindreschen, gleichzeitig!, wegschauen und eindreschen, das gleiche. Immer mehr Rädchen drehten sich immer schneller und eifriger, dass es nur so rauchte aus den Schornsteinen.

Und heute? Heute sind wir davon geheilt? Mit Menschlichkeit und Zivilcourage gerüstet gegen die Wiederholung der Geschichte? Sind die Hakenkreuze an den Wänden und die Nazisticker auf den Laternen zwar bedauernswert, aber doch nur Akte von ein paar verwirrten Globalisierungsverlierern, die sich, weil sie es nicht besser wissen, an irgendeinem Naziblödsinn festklammern? Oder ist das die Spitze eines Eisbergs. Der sichtbare Teil jenes hässlichen Geschwürs, das breite Teile unserer Gesellschaft erfasst hat. Ein Hassgeschwür, das ja geradezu wuchern muss in einem Land der verpesteten Erinnerungskultur, einem Land, in dem die Wunden der Vergangenheit von führenden Politikern anstatt sie endlich zu überwinden immer wieder angeritzt werden, um diffuse Ängste vor den Anderen zu schüren, diese verhassten Anderen, diese verhassten Fremden, die wir doch nur hassen, weil wir etwas in uns selbst nicht ertragen. Neid, Hass und Angst sind in diesem Land die Grundlage für erfolgreiche Politik. Aus allen Richtungen prasseln die Bedrohungen auf uns ein: Immigranten nehmen uns die Arbeitsplätze weg! Habgierige Slowenen wollen Südkärnten Slowenisieren! Muslimische Terroristen werden in Moscheen herangebildet! Ostbanden räumen unsere Wohnungen leer! Ausländerfamilien werden zur Mehrheit im Land! Asylwerber nutzen unser Sozialsystem aus! Da bläht sich das Hassgeschwür ängstlich auf, die Wählerstimmen fliegen den Hetzern zu, die das Hassgeschwür mit ihren Hetzkampagnen nähren, es wächst, durchdringt bald alles – und dann schauen alle betroffen, wenn das Geschwür irgendwo aufplatzt und sich entlädt. Wieder stören ein brennendes Asylheim oder die Scherben eines Denkmals die Idylle der zivilisierten Gesellschaft.

Es ist leicht heute hier zu stehen und die Verbrechen der Nationalsozialisten zu verurteilen. Es ist in dieser Runde sicherlich auch schick auf den in der Tat außerordentlichen Beitrag der Partisanen zur Befreiung vom Faschismus hinzuweisen. Auch mit der Kritik an widerlichen, rechtspopulistischen Wahlkämpfen ließe sich wohl Applaus ernten. Wir, die Menschen, die heute zu dieser Gedenkveranstaltung gekommen sind, wir sind bestimmt in vielen Punkten einer Meinung und die Probleme, die zur Schändung dieses Denkmals führten, die suchen wir bei den Anderen. Dürfen wir das? Sind wir wirklich die solidarischen Bürgerinnen und Bürger, die auch damals aufgestanden wären und Widerstand geleistet hätten? Oder hätten nicht die meisten von uns feige weggeschaut. Sind wir wirklich vorurteilsfrei und weltoffen? Oder haben nicht die meisten von uns eine diffuse Abneigung gegen eine bestimmte Gruppe von Mitmenschen. Wo beginnt ihr Vorurteil, ihre Angst vor dem Fremden? Sie haben vielleicht nichts gegen die Homoehe, aber woran denken Sie, wenn sie „Zigeuner“ hören? Abenteuerromantik vielleicht, Bettler, dreckige Kinder, Lärm und Kriminalität, zum Glück nicht meine Nachbarn? Sitzt nicht irgendwo in Ihnen auch ein kleines Vorurteilsgeschwür? Das bei aller Toleranz doch Einwände gegen ein Minarett in Villach hätte, weil so ein fremdländischer Phallus kulturell einfach nicht neben all die katholischen passt? Ein Geschwür, das sich gegen das Andersartige sträubt? Sie haben nichts gegen eine Schwulenbar in Villach, aber Inzest, Sex unter Geschwistern? Perversion, wegsperren! Und seien sie ehrlich, knutschende Lesben am Hauptplatz, das muss nun wirklich nicht sein! Wo beginnt ihr Hass auf das unerträgliche Fremde, das Entartete? Stehen Sie vielleicht nur hier, um gesehen zu werden? Weil es gerade ungefährlich ist und gut ankommt, gegen Nazis zu sein? Dann hätten Sie damals vielleicht sogar auf die Menschen, an die hier erinnert wird, eingedroschen. Aber selbst wenn Sie zum toleranten Teil der Gesellschaft gehören: Handeln Sie auch? Was war ihre Reaktion auf die Hetze gegen Tschetschenen in Villach? Würden Sie für einen Asylwerber bürgen? Haben Sie protestiert gegen die die Fektersche Kinderschubhaft? Oder haben Sie sich mit den Zuständen abgefunden, arrangiert. Was muss dann erst Furchtbares geschehen, damit Sie lautstark für Menschenrechte eintreten? Und sind Sie sicher, dass dann noch genug Leute da sind, um mit Ihnen zu protestieren? Vergessen sie nicht: Wir sind Herdentiere, autoritätshörig. Sie kennen bestimmt das eine oder andere Experiment dazu. Um eine Menschenmasse zu lenken, muss man nur 10% Statisten darunter mischen, die die Richtung vorgeben. Wenn man einem Menschen befiehlt, einem anderen tödliche Stromstöße zu verpassen, wird er es tun. Wenn ein Mensch auf offener Straße attackiert wird, gehen alle vorbei oder glotzen blöde, bis einer einschreitet und hilft, dann helfen plötzlich viele. Wir alle haben die Aufgabe, täglich dafür zu kämpfen, dass die Stimmung nicht kippt, dass das Hassgeschwür nicht wieder jene kritische Masse erreicht, die es möglich macht, die Herde in Richtung Katastrophe zu locken. Demokratie und Rechtsstaat sind keine Selbstverständlichkeit, sondern historisch gesehen ein Ausnahmezustand. Menschlichkeit ist in unserer Welt ein Luxus, denn wenn sozialer Abstieg auch nur möglich erscheint, setzt sich rasch der bestialische Eigennutz durch. Konkurrenzdenken dividiert die Gesellschaft auseinander, Alteingesessene gegen Neoösterreicher gegen Ausländer. Die Jungen, die in unbezahlten Praktika ausgepresst werden, gegen die Alten, denen die Pension nicht gegönnt wird. Der Jude von gestern ist der Tschetschene von heute. Und die meisten Kärntner Slowenen deklarieren sich immer noch als „raindaitschhuditsch“! Anderswo ist man stolz auf Mehrsprachigkeit, nicht bei uns.

Wenn ich in den vergangenen Jahren nach längerer Zeit wieder in meiner Heimatstadt war, bin ich immer mit klopfendem Herzen hierher an diesen Ort gekommen. Weniger, um der damaligen Opfer zu gedenken. Ich wollte vielmehr sehen, wie es heute um Villach steht. Und immer wieder stand ich entsetzt vor einem Scherbenhaufen. Einer klaffenden Wunde mitten im Stadtzentrum.

Menschen wie Hans Haider, der sich unermüdlich für die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte in Kärnten engagiert, machen Mut. Ich hoffe, dass dieses Denkmal eines Tages wirklich nur noch an die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt erinnert, und nicht mehr in Scherben auf gegenwärtige Missstände hinweist. Daran müssen wir alle arbeiten. Täglich. Hvala lepa.

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Nicole, 2010-10-28, Nr. 4969

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