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Ludwig Roman Fleischer

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2010-07-04

WIE BAD SCHRAMMELN DIE E.U. GERETTET HAT

Bad Schrammeln ist ein entzückendes Städtchen an einem grünen, kühlen Fluss, eingebettet in eine kleine Ebene, eingekeilt zwischen Bergen, deren Schroffheit bis weit hinauf von dunklen Nadelwäldern zu einer gewissen Lieblichkeit gemildert wird. Zuletzt stechen aber dann doch die nackten Zacken der Gipfel in den Himmel, der vielleicht aus diesem Grund so oft Wasser lassen muss. Barocke Lustschlösser, Zwiebelturmkirchen, Biedermeierhäuser und -villen drängen sich in der Enge Bad Schrammelns zusammen, und dennoch hat das Städtchen etwas von der luftigen Gelassenheit der großen Welt. Dies mag damit zusammenhängen, dass es einst – als unser Land noch eine Monarchie war – einem legendären, wenn auch an sich mittelmäßigen Kaiser als Sommerresidenz diente. In den Wäldern ringsum pflegte der Monarch zu jagen, in einer der Villen fand er – von der Ehe zur neurotischen Kaiserin ausruhend – seine große bürgerliche Liebe. Ein heilkräftiges Solbad gibt es in dem Städtchen und es hat sich mithin das Adelsprädikat „Bad“ redlich verdient und nicht erschlichen wie so viele Pseudobäder in unserem Land, mit ihren künstlich angereicherten und eigentlich bloß geredeweise sprudelnden Mineralquellen.
Im Gedenken an die im Nachhinein von Leuten, die sie nicht erlebt, als selig bezeichnete Kaiserzeit fand in Bad Schrammeln alljährlich ein großes Fest statt: das Fest des kaiserlichen Geburtstages, mit Blumencorso, Militärparade, Walzer- und Marschmusik. Ein in dieser Rolle quasi pragmatisierter Schauspieler namens Humbert Höflich spielte dabei den Kaiser, wechselnde, jedenfalls aber magere Provinzschauspielerinnen seine Gemahlin und alle Bad Schrammler, die etwas auf sich hielten, spielten Militär, Hofstaat, Lakaien oder zumindest jubelndes Fußvolk. Die Ortshonoratioren spielten sich selber, dies jedoch für einen Tag in sozusagen monarchistisch aufgewerteter Funktion, mochten sie konservativ, sozialdemokratisch, nationalliberal oder grün sein. Selbst die drei oder vier Kommunisten entzogen sich dem apostolisch-majestätischen Pomp nicht, denn wer bei der Kaiserparade gefehlt hätte, wäre auch jahrüber nicht wahr oder gar ernst genommen worden. Schließlich und endlich war das Kaiserfest ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, und ohne sein monarchienostalgisches Flair wäre Bad Schrammeln nichts als ein hübsch gebautes Provinznest gewesen, das von ein bisschen Vulgärtourismus lebt.
Seit Jahrzehnten rieselte der segensreiche Erlös aus imperialem Sentimentalitätsgepränge auf Bad Schrammeln nieder, und dies nicht bloß an Kaisers Geburtstag. An diesem festlichen Datum hatte der Schauspieler Humbert Höflich nunmehr dreiundzwanzig Mal den Kaiser gegeben, mit Backenbart, Federbusch und Paradeuniform, und die kaiserliche Persona war ihm mit der Zeit zur Persönlichkeit geworden, sodass er sich – im bürgerlichen Beruf Schuldirektor – auch an den dreihundertvierundsechzig profan-republikanischen Resttagen des Jahres imperial gebärdete. Von Jahr zu Jahr imperialer, kann man sagen, bis eines kaiserlichen Geburtstages die Scheinimperialität in eine Seinsimperialität kippte, die Idealität in Realität überging.
An jenem Kaisergeburtstag hatte der Scheinkaiser routiniert die Parade abgenommen, Gedichte aufgesagt habende Mädchen geküsst, die Ortshonoratioren zur Fahnentreue aufgefordert. Nun hätte er, ein neues Provinzschauspielerinnen-Sternchen am Arm, auf dem Hauptplatz den Kaiserwalzer eintanzen sollen. Diesmal aber kam es anders.
Hochgeschätzte Repräsentanten und Diener Unseres Reiches,
adressierte Seine Majestät Humbert Höflich die vom Bürgermeister befehligten Honoratioren,
Wir erachten es als an der Zeit, Unserem Reich eine neue, dauerhafte Verfassung zu geben, inmitten einer Welt, die nur noch nach schnödem Mammon und oberflächlichem Glanze strebt. Es hat Uns, von Gottes Gnaden Kaiser dieses wunderbaren Fleckchens Erde, gefallen, über eine neue Rechtsgrundlage Unseres Reichsganzen nachzudenken und dieselbe bis zur Dekretreife auszuarbeiten. Dieses Fleckchen gottgefälliger Erde heiße ab sofort Transaustrien und nehme eine monarchistische Verfassung an.
Die Honoratioren applaudierten, das Fußvolk jubelte. Offenbar eine neue, höchst originelle Facette des Kaiserfestes, dachten alle, warum nicht, das ganze ist ohnedies schon zu sehr Routine geworden. Als der Kaiser den Verfassungsvertrag aus der Brusttasche seiner Uniformbluse zog und ihn den Honoratioren zur Unterschrift hinhielt, entstand eine gewisse Verwirrung. Der konservative Bürgermeister dachte, es handle sich um einen Gag, den der sozialdemokratische Vizebürgermeister ersonnen hatte; jener wieder vermutete eine popularitätsträchtige Kabale des Bürgermeisters, jeder hielt jeden außer sich selbst für verantwortlich und also unterschrieben alle, Bürgermeister, Vizebürgermeister, Gemeinderäte. Ja, und Seine Majestät Kaiser Humbert der Erste verkündete auf dem Hauptplatz die Gründung des Kaiserreichs Transaustrien mit der Residenz Bad Schrammeln, sowie den Austritt beider aus der umgebenden Republik. Das Volk jubelte, im Glauben an einen besonders originellen Einfall des Kaiserfestintendanten Jakobus Lahnsteiner, der aber sogleich von Humbert dem Ersten zum Ritter geschlagen wurde. Nach einander erhob Seine Majestät auch Bürgermeister, Vizebürgermeister, Gemeinderäte, sowie zwei Landtagsabgeordnete, einen Bundesrat, drei Pfarrer, zwei Gastwirte und alle Hoteliers in den Adelsstand. Augenblicks wimmelte es in Bad Schrammeln von Grafen, Baronen, Rittern und Edlen, und – wiewohl sie ihrer neuen Würde noch nicht so recht trauten – gefielen sie sich in ihr.
Die weitere Ausarbeitung des neuen Status unseres Reiches verlegen Wir auf morgen um neun sine tempore im Rahmen einer außerordentlichen Sitzung im Gemeindesaal der Residenz Bad Schrammeln,
verkündete Seine Majestät Humbert Höflich in perfekt prononciertem Schönbrunnerisch,
und jetzt: alles Walzer!
Zu der außerordentlichen Sitzung im Gemeindesaal erschienen die Ortshonoratioren mit gemischten Gefühlen und einander wortreich versichernd, dass alles ein Mordsspaß sei, der Bad Schrammeln durch seinen hohen Unterhaltungswert zum Wohl gereichen werde. Seine Majestät war jedoch sichtlich nicht zum Spaßen aufgelegt. Mit großer Geste legte Humbert der Erste den Gemeindevätern und –müttern einen Text zum Eid auf die Verfassung und den Austritt aus der umgebenden Republik vor und verblüfft schworen alle, wobei nur noch eine Minderheit vom Gag-Charakter der ganzen Angelegenheit überzeugt war. Allzu souverän und gottesgnadengeladen agierte Humbert der Erste. In militärisch knappen Worten legte er den Gemeindeeltern die Vorteile des neuen politischen Status Bad Schrammelns beziehungsweise Transaustriens dar: Souveränität, Steuerhoheit, Unabhängigkeit und die Identität stiftende Kraft des neuen Reichsganzen. Und damit überzeugte der Monarch seine Untertanen. Ab sofort würden die Steuern in Bad Schrammeln und Umgebung – drastisch gesenkt, weil nicht mehr an die Republik abzuführen – ausschließlich dem Wohl des neuen Reichsganzen Transaustrien zugute kommen. Ein knapp gehaltener Gesetzeskatalog wurde von Humbert dem Ersten verlesen und von den noch immer ein wenig verblüfften Abgeordneten einstimmig angenommen. Die Monarchie Transaustrien mit der Residenz Bad Schrammeln und den umliegenden Weilern Lahnstein, Feldspreng, Rothau, Nussen und St. Kathrin war geboren.
Regierung, Parlament und Präsident in der Bundeshauptstadt berieten inzwischen über die Sezession Bad Schrammelns. Der Verteidigungsminister schlug eine militärische Intervention vor, der Energieminister wollte den Bad Schrammlern den elektrischen Strom abdrehen, der Gesundheitsminister ihnen das kleine Landesspital zusperren. Der Kanzler meinte, den Leuten würde die Lust am Kaiserspiel schon wieder vergehen und plädierte für ein Aussitzen der Angelegenheit. Auch der Präsident – ansonsten nicht gerade überreich mit Humor gesegnet – riet zu einer ignorativen Behandlung des Falles. Eine Intervention, so er, würde bedeuten, dass man die Vorgänge in Bad Schrammeln ernst nehme und eine derartige Ernstnahme würde dem Ansehen der Republik schaden. Bad Schrammeln und/oder das Kaiserreich Transaustrien wären allein, abseits des nährenden Busens der Republik, ohnedies auf die Dauer nicht lebensfähig. Man werde nur einige Wochen oder Monate warten müssen, ehe sich der Spuk aufgrund wirtschaftlicher Nöte von selber erledigt hätte. Der Spuk erledigte sich nicht. Es ging vielmehr ein sezessionistischer Ruck durch die Bad Schrammler. Sie wollten die Unabhängigkeit und sie arbeiteten mit allem Einsatz dafür. Transaustrien mit der Residenz Bad Schrammeln war im Nu – dank der Medien – eine internationale Berühmtheit. Aus aller Welt langten Glückwunsch- und Sympathieadressen in Bad Schrammeln ein. Transaustrien mit seiner Residenz Bad Schrammeln wurde von einigen EU-Kommissaren als Musterbeispiel regionaler Eigenständigkeit innerhalb des großen Ganzen der verwirklichten Idee Europa bezeichnet. Die republikanische Umlandregierung wurde ausdrücklich davor gewarnt, gegen das Kaiserreich Transaustrien militärisch oder sonstwie vorzugehen. Die E.U. – zur damaligen Zeit gerade im schlimmsten Popularitätstief ihrer Geschichte – hatte soeben aus unionistischer Not die Tugend der Verteidigung regionaler Identität entdeckt. Das Kaiserreich Transaustrien wurde im Blitzverfahren als E.U.- Mitglied aufgenommen und konnte auch der UNO beitreten. Da der Einstimmigkeitsparagraph abgeschafft worden war, blieb der Transaustrien umgebenden Republik nichts anderes übrig, als die neuen Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen.
Transaustrien/Bad Schrammeln blühte und gedieh. Der Tourismus florierte wie noch nie. Kaiser Humbert der Erste war weltberühmt, Hollywood hatte sich seiner Geschichte angenommen. Transaustrien war auch im ehemals eigenen Land – der umgebenden Republik – ungemein beliebt. Einige Provinzstädte und Regionen liebäugelten mit einem dem transaustrischen ähnlichen Unabhängigkeitsmodell.
Die Idee Kaiser Humberts und seines Reichs hatte bereits ganz Europa durchdrungen. Europa begann sich in einen Kontinent der Regionen, Provinzen und Stadtstaaten umzustrukturieren. Grafschaften, Herzogtümer, Fürstentümer, König- und Kaiserreiche, aber auch Archonteien, Räterepubliken und Basisdemokratien entstanden. Nacheinander erklärten das Baskenland, Katalonien, Mähren, Friaulisch Venetien, Triest, Franken, Bayern, Venedig, die Île de France, Korsika, Sizilien, Sardinien, das Veltlin, Ober- und Unterengadin, Kärnten, Hamburg, fast alle Landeshauptstädte EU-Europas und viele andere ihre Unabhängigkeit. Alle sahen sich als treue und loyale Mitglieder der Europäischen Union. Selbst der Beitritt der Türkei war kein Problem mehr, da dieselbe – in die souveränen Staaten Europäisch-Istanbul, das Sultanat Groß-Anatolien, die Kalifate Izmir, Ankara, Antalya und Iskenderun, sowie die Republiken Taurus, Dyarbakir und West-Kurdistan aufgesplittert – nun keineswegs mehr als bedrohlicher Moloch empfunden wurde. Bad Schrammeln hat Europa verändert, ja gerettet, und seit einigen Jahren feiert daher ganz Europa einmal jährlich das Kaiserfest von Bad Schrammeln.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Ludwig Roman Fleischer: „Neue Einfälle des Kauzes“, Sisyphus und Ludwig Roman Fleischer, 2010
ISBN: 978-3-901960-52-9
www. silverserver.co.at/sisyphus

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