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2009-11-07

Virus Auto. Die Geschichte einer Zerstörung

BUCHREZENSION

Das neue Buch des Verkehrsexperten Hermann Knoflacher analysiert in einem faszinierend weiten Bogen die verschiedenen Facetten unserer autovernarrten Gesellschaft. Knoflacher betrachtet vertraute Dinge aus einer neuen Blickrichtung und öffnet dem Leser die Augen. Ein spannendes und äußerst lesenswertes Buch!

Anfangs wundert sich der Leser vielleicht, dass Knoflacher sehr weit ausholt, bis zu den ersten Feuerstellen und den antiken Mythen. Bald wird klar, worauf er hinaus will: Die eindringlichen Bilder von Prometheus und von der Büchse der Pandora spiegeln sich im Wunderding Auto, das unbegrenzte Mobilität schenken sollte und nun unsere Lebenswelt mit Abgasen, Lärm, Staus, Autobahnlandschaften und kreisenden Parkplatzsuchern durchwuchert.

Hirnlähmung

Knoflacher verblüfft den Leser mit so unerwarteten Fragen wie jene, warum es in der Natur keine rotierenden Räder gibt. Und dann breitet er die vielen Facetten unserer Auto-Gesellschaft vor den Augen des Lesers aus:

etwa die ungeheure Beschleunigung unseres Lebens und deren Auswirkungen, weiters das ständige Wachsen von Österreichs Beton- und Asphaltdecke (diese wächst täglich um 21 Hektar!!),

  • die Gewichtszunahme der Autos,
  • die Weltanschauung der autovernarrten 50er Jahre,
  • und schließlich erzählt Knoflacher von einem Besuch in New York, wo sein Hotel zu Fuß über Gehsteige nicht mehr erreichbar war.

Knoflacher warnt davor, große Infrastrukturnetze, die der Öffentlichkeit dienen, zu privatisieren. Er verweist unter anderem auf Los Angeles, das 1939 das größte Straßenbahn- und S-Bahn-System der Welt hatte. Später kauften ein KFZ-Hersteller, ein Treibstoff-Konzern und ein Reifenhersteller die privatisierten Öffis auf und legten sie schrittweise still. Heute ist dort ein Fortkommen ohne KFZ kaum möglich. Mit wunderbar spitzer Feder bringt er Fehlentwicklungen auf den Punkt: „Diese Ideologie [der schrankenlosen Privatisierung] wurde von den Ökonomen im Neoliberalismus zur vollen Blüte gebracht und führte in der Politik Ende des 20. Jahrhunderts zu einer weit verbreiteten Hirnlähmung.“

Fadenwürmer

Schon eine Teilprivatisierung könne zur Zerstörung des Ganzen führen, sagt Knoflacher: Die ÖBB beispielsweise wurden in zahllose Unterbereiche zergliedert, wobei die Teilbereiche einander mit enormem Arbeits- und Finanzaufwand gegenseitig sämtliche Leistungen verrechnen. Jedes Einzelsystem will sich optimieren und profilieren. Dass das nicht funktioniert, weiß die Evolution schon seit dem Entstehen der Fadenwürmer (Nematoden), meint Knoflacher schmunzelnd. Denn schon die Fadenwürmer haben eine gemeinsame gehirnähnliche Steuerungszentrale.

Immer wieder lockert Knoflacher das Buch mit Anekdoten auf: Etwa von einem Radfahrer, der in einem Luxushotel abgewiesen wurde. Als hinter ihm der Chauffeur samt Limousine eintraf, der den radelnden Generaldirektor begleitete, wollte sich der Hoteldirektor entschuldigen, doch es war schon zu spät. – Hier geht es nicht um die Pointe, sondern vielmehr um die Frage, wie ernst und wichtig Radfahrer und Fußgänger in unserer Gesellschaft genommen werden.

Als Knoflacher 1975 dem zuständigen Wiener Stadtrat vorschlug, ins neue Verkehrskonzept auch den Radverkehr aufzunehmen, stieß er auf Unverständnis: „Was wollen Sie, ich musste im Krieg von Wien nach Prag mit dem Fahrrad fahren. Das hat mir gereicht“, so der damalige

Stadtrat.

Betonschlauch

Vieles hat sich seither geändert, es gibt Radwege, gleichzeitig ist aber der KFZ-Verkehr geradezu explodiert. Endlich, muss man als Leser glücklich seufzend feststellen, hinterfragt jemand, nämlich Knoflacher in seinem Buch, die Ideologie des ständigen Wachstums. Gerade heute, wo Politiker ständig „von der Krise“ reden und hinzufügen, „das Wachstum“ werde uns da schon herausholen.

Der Verkehr nahm gewaltig zu, nicht aber die Anzahl der Wege, sondern meist nur die Länge der Wege, analysiert Knoflacher. „Mobilität ist immer Ausdruck eines Mangels am Ort“, wird zuweilen definiert. Wenn der Wohnort sich also als ungeeignet für Freizeit und Arbeit erweist, unattraktiv ist, verlängern sich die Fahrstrecken. Und der Verkehr macht die Landschaften wiederum erneut unattraktiver.

Im folgenden, brisanten Teil des Buches geht es um die Zerstörungen der Lebensumwelt durch den Verkehr. Vielleicht hätte man sich diese Themen schon etwas weiter vorne gewünscht, sie sind ja die zentralen Konfliktpunkte der heutigen Verkehrspolitik.

Der Kärntner Knoflacher schildert hier das einst wunderschöne nördliche Wörtherseeufer, wo sich die Touristen heute an die Abgase der Autobahn bereits teilweise gewöhnt haben. Er erwähnt Gewerbepark-Landschaften in Niederösterreich entlang von Autobahnen, die fast schon an ähnliche Gegenden in Nevada erinnern. Und er schreibt über den „abscheulichen Betonschlauch“ bei Klosterneuburg, für den ein Teil des Naturschutzgebietes der Klosterneuburger Au unterhalb vom berühmten Barockstift geschlägert worden ist.

Wo einst auf der Parndorfer Platte der streng geschützte Steppenvogel Großtrappe brütete, befindet sich heute das riesige Factory Outlet Center neben der Ostautobahn. Die Liste ist lang.

Leichenschminken

Die Zahlen, die Knoflacher liefert, sind verblüffend: Pro Tag werden auf jedem Autobahnkilometer (bei angenommenen 20.000 Fahrzeugen) ungeheure zwei Tonnen Erdöl verbrannt und als Abgase in die Umgebung abgegeben. In einer 5 Kilometer langen Gemeinde sind dies rund zehn Tonnen täglich! Trotzdem wollen viele Bürgermeister noch immer „eine Autobahn für ihre Gemeinde“, wundert sich Knoflacher.

Dabei ist auch die Hässlichkeit der Fahrbahnen und Parkplatzflächen ein Thema: Manche Gemeinden in Niederösterreich bekommen vom Landeshauptmann eine Fassadenrenovierung mitfinanziert, doch dahinter lebt das Dorf nicht mehr. Wirtshaus, Greissler, Post, sie alle mussten schließen, weil die ausufernde Mobilität dazu führte, dass man dort, wo man wohnt, nicht mehr „lebt“, nicht mehr isst, einkauft und einander trifft. „Leichenschminken“ nennt Knoflacher diese Fassandenrenovierung in toten Dörfern.

Als Mittel gegen die Verkehrslawine werden heute meist nur verbesserte Motortechnik und Abgastechnik genannt. Das Grundübel, die ausufernde Mobilität, wird kaum hinterfragt, kritisiert Knoflacher. Die Natur zeigt uns, dass in geschlossenen Systemen (wie es die Erde ist) ein kontinuierliches Wachstum irgendwann zu einem katastrophalen Zusammenbruch führt. Optimierter Autoverkehr

Knoflacher vergleicht die Ausbreitung des Autoverkehrs mit einer Virusinfektion. Anfangs klingt der Vergleich merkwürdig, doch je genauer man hinsieht, desto mehr Parallelen werden sichtbar: Wenn eine Zelle von einem Virus befallen wird, arbeitet sie nicht mehr für den Körper, sondern für die Virusverbreitung. In ähnlicher Weise entwickelt eine Gesellschaft, die vom „Auto-Virus“ befallen ist, nicht mehr Strukturen für die Lebensqualität der Menschen, sondern Strukturen für einen optimierten Autoverkehr.

Auch wenn exakte Zahlen wohl schwer berechnet werden können, gelangt Knoflacher anhand von diversen Studien zur Schlussfolgerung, dass weltweit jährlich rund drei Millionen Menschen vorzeitig durch den Autoverkehr sterben (Unfälle, Abgase, Lärmwirkungen), während 50 Millionen Menschen langfristige Schäden verschiedenster Art davontragen.

Die derzeitige „Krise“ wäre eine Chance für eine innovative Trendwende im Verkehrswesen gewesen. Doch anstatt das System nachhaltig zu ändern, bewilligten europäische Staaten riesige Fördermaßnahmen, um alte durch neue Autos zu ersetzen („Schrottprämie“). More of the same, sozusagen.

Flussoase statt Autobahn

Zuletzt skizziert Knoflacher verschiedene Strategien, wie man den Verkehr in Großstädten innovativ und menschenverträglich gestalten könnte. Anhand von Beispielen zeigt er, wie dies in anderen Weltgegenden schon teilweise gelungen ist.

Das verblüffendste Beispiel ist wohl eine riesige 11-Millionen-Stadt in Asien: Zwischen 1958 und 1976 wurde ein Fluss zubetoniert und eine gigantische Stadtautobahn errichtet, auf der bis vor wenigen Jahren täglich 220.000 KFZ unterwegs waren. Der Bürgermeister, übrigens zuvor in seinem Zivilberuf CEO eines Autokonzerns (!), ließ jedoch die altersschwach gewordene Autobahn 2003 ersatzlos (!) abreißen. Ein Fluss, jahrzehntelang unter der Autobahn „begraben“, wurde freigelegt, 16 Busrouten ersetzten den PKW-Verkehr, der Fluss wurde 2005 zu einer Erholungsoase, und die Wirtschaft im Stadtviertel blühte auf. Im Frühjahr 2008 wurde dieser Bürgermeister zum Staatspräsidenten gewählt.

Die Stadt ist Seoul in Südkorea, der Fluss hat den schwierigen Namen Cheonggyecheon, der Ex-Bürgermeister ist Lee Myung-bak, zuvor war er bei Hyundai, jetzt ist er Präsident von Südkorea.

„Virus Auto. Die Geschichte einer Zerstörung“ von Hermann Knoflacher ist ein erstaunliches Buch, absolut lesenswert, sowohl für autokritische Leser, die hier jede Menge Neues und Amüsantes finden werden, als auch für Autoliebhaber, die ihren Lebensstil nach dieser Lektüre vielleicht ein wenig hinterfragen werden. Das Buch ist weitaus spannender, als der etwas trocken formulierte Klappentext vermuten lässt. Ein Pflichtbuch für jeden Bücherschrank.

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