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Andrea Bugge

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2008-01-08

Vom Wellenreiten und Bäume-Umarmen

Wie „Entwicklung“ und „Armut“ konstruiert und dekonstruiert werden

Die heutige Bedeutung von „Armut“ und „Entwicklung“ und ihre Wechselbeziehung zueinander wurde während der wirtschaftspolitischen Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg „gestiftet“. Es begann 1948, als die Weltbank erstmals von „globaler Armut“ sprach und zu deren Messbarkeit die Höhe des Bruttosozialprodukts festlegte, sodass Länder, die die Messlatte von 100 Dollar nicht erreichten, diese „Bewertung“ verinnerlichten und sich selbst als arm und unterentwickelt deklarierten. Nun erfolgte in kürzester Zeit die öffentliche Konstruktion des Entwicklungsbegriffs, die durch eine Rede Präsident Trumans in Gang gesetzt wurde, als er 1949 von „unterentwickelten Weltgegenden“ sprach, die mit Hilfe westlichen Geldes und Know-how entwickelt werden sollten, wobei das Ganze nicht mehr den Charakter der Kolonialisierung besitzen, sondern auf partnerschaftlicher Ebene ablaufen sollte.

Auch der Begriff der Armut erfuhr einen Bedeutungswandel, indem er seine positiven Aspekte verlor und nunmehr mit Schwäche, Versagen, Mangelhaftigkeit, insbesondere des Individuums selbst (das somit unrealistischerweise gesellschafts- und wirtschaftspolitisch völlig isoliert betrachtet wird!). Die Ursache dafür bezeichnete Karl Polanyi als die „Große Transformation“ im Industriezeitalter, in dem die Ökonomie erstmals in der Geschichte die Gesellschaft bestimmt und nicht umgekehrt. Infolgedessen geraten vernakuläre Wirtschaftsformen in Vergessenheit, denn der Mensch wird von seinem Lohn abhängig, den er braucht, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Kommt es zu Mangelzuständen (selbst der Mensch ist, so vermittelt uns die von der Wirtschaft initiierte Werbung, ein Mängelwesen), wären diese nur durch noch größeres Wirtschaftswachstum zu bewältigen. Die Armut muss dementsprechend auch als Mangel behandelt werden, der durch einen neuen Berufsstand, dem der „Pauperologen“ (Politiker, Ökonomen, usw.) behandelt werden sollte.

Diese Spezialisten entwarfen seit den 50er Jahren auch Programme für entwicklungspolitische Sofortmaßnahmen, jedoch war die – bereits erwähnte – Messlatte des BSP weiterhin der Entwicklungsindikator. Zwischen Befürwortern der Soforthilfeprogramme und denen der BIP-Steigerung kam es in Folge zu Kontroversen, die in UN-Berichten als Nexus zwischen den Blöcken „Wirtschaft“ und „Soziales“ umschrieben wurden, der mit Hilfe des Begriffs „Integration“ überwunden werden sollte. Zu einer expliziten Kritik an der ökonomischen Ausrichtung des Entwicklungsbegriffs kam es erst in den 60er-Jahren, jedoch wurden Ideen zu seiner Dekonstruktion wieder fallen gelassen, da man sich auf keine Neudefinition einigen konnte. Zwischen 1970 und 1980 wurden verschiedene entwicklungspolitische Themen abwechselt in den Mittelpunkt gerückt, bis sich, nach einer ergebnislosen Auseinandersetzung, welches der Themen die entwicklungspolitischen Probleme auslöst, die Erkenntnis durchsetzte, dass sich diese Fragen (z. B. Frauen, Kinder, Umwelt, …) nicht isoliert betrachten lassen. Andererseits wurde weiterhin versucht, den sog. „Integrierten Ansatz“ in die Praxis umzusetzen, bei dem der Mensch im Mittelpunkt der Entwicklung steht. (siehe z. B. 1974: „Erklärung von Cocoyoc“: „Menschen, nicht Dinge entwickeln.“ – Dag-Hammerskjöld-Stiftung: „Entwicklung, die Menschen in den Mittelpunkt stellt“. – Johan Galtung: Entwicklung als „Entwicklung des Volkes“, zit. nach G. Esteva, S. 103).

Zudem gab die „Grundbedürfnisstrategie“ (1976) ein Ziel vor, das leider bis heute nicht erreicht wurde: sie sah vor, dass bis zum Ende des 20. Jahrhunderts jedem Menschen ein bestimmter Lebensstandard zur Verfügung stehen sollte. Diese Strategie wurde von Regierungen und insbesondere der Weltbank unterstützt, die eifrig Kredite vergab, die später – und damit wären wir bereits in den 80er-Jahren – nicht mehr zurückgezahlt werden konnten. Daher wird diese Dekade auch als „das verlorene Jahrzehnt“ bezeichnet. Es herrschte Stagnation, ja es kam sogar zu Rückschritten, dabei hatte die UNESCO inzwischen das Konzept einer „endogenen Entwicklung“ vorgeschlagen, die die „Besonderheiten einer jeden Nation“ (G. Esteva, S. 105) einbeziehen sollte.

In den 1990er-Jahren herrschte wieder Optimismus. Dieser Zeitraum wurde auch in den Industriestaaten für „Umentwicklung“ und „Sanierung“ genutzt, wobei diese Begriffe das Rückgängigmachen von nicht mehr brauchbaren, umwelt- und gesundheitsgefährdenden Konzepten, wie z. B. Atomkraftwerke, oder unwirtschaftlich gewordene Institutionen, z. B. verstaatlichtes Gesundheitswesen, bezeichnen. Das Ziel war aber eher Nachhaltigkeit im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung als der besondere Schutz der Natur um der Natur willen.

Auch nahm die Alleinherrschaft des BIP als Indikator für die Entwicklung eines Landes ein Ende, denn im zweiten Entwicklungsprogramm des UNDP (United Nations Development Programme) wurden weitere Faktoren wie Lebenserwartung, Lese-/Schreibkenntnisse, Gesundheitszustand usw. für die Bewertung der „Armut“ der Bevölkerung eines Entwicklungslandes mit einbezogen.

Kritiken am Armuts- und Entwicklungsbegriff

  • Für beide Begriffe: Die gängige Entwicklungspolitik stellen Armut bzw. Entwicklung so dar, als könne sie nur von Spezialisten „behandelt“ werden, z. B. Experten, Institutionen, Regierungen. (Rahnema, insbes. S. 25-35 zum Begriff „Armut“. Da diese Kritikpunkte auch für den Entwicklungsbegriff gelten können, habe ich diesen in die Aufzählung eingeflochten, um die gegenseitige Bedingtheit der Begriffe in der heutigen Form aufzuzeigen.)
  • Hilfe wird vorrangig als materielle, wirtschaftliche Hilfe gesehen.
  • Nur Regierungen und ihre Einrichtungen sind befugt, über Hilfsprogramme zu entscheiden und diese durchzuführen.
  • „Entwicklung“ ist ein konstruierter Begriff einer westlichen, isolierten Sichtweise, die die Komplexität der Welt nicht berücksichtigt und die auch den (westlichen) Entwicklungsprogrammen immanent ist. Selbst linke Theoretiker geraten in „umgekehrter Richtung“ in diesen Diskurs, wenn sie „Unterentwicklung“ mit Ausbeutung durch die ehemaligen Kolonialstaaten, die heute kapitalistische Industriestaaten sind, erklären.
  • Entwicklung wird allgemein mit Wirtschaftswachstum gleichgesetzt. (Auch bei vielen linken Theoretikern, z. B. Paul Baran - siehe G. Esteva, S. 99).
  • Kriterien werden zu abstrakt bestimmt, z. B. zeigt BIP nicht, dass es auch viele Arme in Ländern gibt, deren Pro-Kopf-Einkommen über der Armutsgrenze liegt.
  • Für jede Institution sind andere Kriterien wichtig, die aber allein noch nichts über die tatsächliche Armut aussagen und die Sicht des Bewertenden und seine Bedürfnisse auf das bewertete Land projizieren. Auch Verbesserungen in einzelnen Bereichen reduzieren nicht die Armut.
  • „Geberländer“ investieren in „Nehmerländer“, um sie als Wirtschaftsstandort zu etablieren und in die Weltwirtschaft zu integrieren.
  • Gefahr, dass korrupte Regierungen die Entwicklungshilfegelder nicht für die Armutsbekämpfung verwenden, sondern sich selbst aneignen.
  • Gerade durch das Wirtschaftswachstum entsteht vielfach erst recht Armut, da neben Grundbedürfnissen auch Bedürfnisse geweckt werden, die scheinbar nur durch noch mehr Wirtschaftswachstum befriedigt werden können. Umverteilung hilft nur kurzfristig, da sie sich immer in einem Wettlauf mit Wirtschafts- und Profitsteigerung befindet. (Gilt auch für Industrienationen)

(Er-)Lösungsmodell?

Autoren wie Esteva und Rahnema regen dazu an, traditionelle Wirtschaftsformen wie die vernakulären Gesellschaften wiederzubeleben und herrschende Entwicklungsmodelle zu hinterfragen, die die Armut bekämpfen, indem sie die Menschen zwingen für andere/für Geld/für die Industrienationen … zu arbeiten, „anstatt für sich selbst“. (Rahnema, S. 34)

Vernakuläre Lebensformen drehen die Sichtweise der modernen Ökonomie um: Nicht die Ressourcen sind begrenzt, sondern die Bedürfnisse, die höchstens als „organische und soziokulturelle ‚Notwendigkeiten’ des Überlebens“ (Rahnema, ebda.) umschrieben werden. Ressourcen, die dafür verarbeitet werden müssen, sind von Natur aus im Überfluss vorhanden und sind daher für jeden Menschen nutzbar, ähnlich wie früher in Europa die Allmende. Zur Knappheit kann es nur durch Naturkatastrophen oder soziopolitische Veränderungen kommen. Doch gerade durch das nicht-westlich-ökonomische Denken, das auch den Menschen nicht als Ressource sieht, lassen sich diese Probleme leichter lösen.

Dass die Rückkehr zu vernakulären Wirtschaftsformen möglich ist, haben bereits zu Mitte des vergan-genen Jahrhunderts einige erfolgreiche Basisgruppen mit Millionen von Beteiligten in Asien (Gandhi!), Lateinamerika und später in Afrika gezeigt.

Zurück zu den Wurzeln: Basisgruppen

Während das Für und Wider verschiedener Entwicklungskonzepte auf „höherer“ Ebene eifrig diskutiert wurde, setzten Basisgruppen (mit vielfach starkem religiösem, spirituellem Hintergrund) ihren Widerstand gegen das Entwickeltwerden gleich in die Praxis um. Sie forderten Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit statt Einmischung, stellten den herrschten Armutsbegriff in Frage, indem sie die früheren positiven Bedeutungen wieder für sich entdeckten. Anstatt sich entwickeln zu lassen, entwickelten sie das Gegen-Konzept der „konvialen Armut“, die von der Geisteshaltung der Einfachheit, Mitverantwortung und dem Gefühl, dass es an nichts mangelt, geprägt ist. Im Gegensatz zum ökonomischen Denken der Industrienationen steht somit das „Sein“ statt dem „Haben“ im Mittelpunkt. Daher machen Basisgruppen auch keine Wirtschaftspläne, sondern richten ihr Handeln nach der jeweiligen Situation: Sie beherrschen die Kunst des wirtschaftlichen „Wellenreitens“, indem sie alte vernakuläre Überlebenstechniken wieder aufleben lassen, um nicht unterzugehen (wie etwa die Chipko-Bewegung in Indien, deren deren Mitglieder – meist Frauen – Bäume umarmten, um dadurch eine kommerzielle Abholzung zu verhindern. Daher auch der Titel dieses Beitrages!). Dennoch bleibt die Frage offen: Können die Wellenreiter/innen die Globalisierungs-Brecher bewältigen?


Verwendete Quellen:

Gustavo Esteva: „Entwicklung“, Kapitel 4, S. 89 ff.;
Majid Rahnema: „Armut“, Kapitel 1, S. 16 ff.; in:
Wolfgang Sachs (Hg.): Wie im Westen so auf Erden. Ein polemisches Handbuch zur Entwicklungspolitik; Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1993

Chipko-Bewegung: http://de.wikipedia.org/wiki/Chipko-Bewegung

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Mimenda, 2008-01-09, Nr. 4077

wie soll sich "entwicklung" auch anders denken lassen als von außen her. das auswickeln, auspacken oder dergleichen ist schlechterdings etwas, was man von außen vornimmt. insofern ist der entwicklungsbegriff von jeher einem "standpunkt" geschuldet. und da machen auch diese tollen basisgruppen keine ausnahme, nur dass sie in ihrem diskurs annehmen, sie hätten den wahren begriff von entwicklung nicht nur gefunden, sondern sie lebten auch nach ihm. das ist alles recht schön und gut, aber dass solch ein vorbild schule machen könnte, das scheint mir wieder einmal ein zartes wunschtüchlein aus der esoterischen pandorabüchse.

und nebenbei gesagt: dieser ton in dem beitrag, armut habe einmal einen positiven aspekt gehabt! wo? in der bergpredigt? da möchte ich doch fragen, ob es um ein refugium geht, in dem der ein oder andere bäume umarmt, sofern die von umfang her passen, oder darum, die armut in der welt soweit zu lindern, dass sie den armen wenigstens ein würdiges leben ermöglicht. armut war - solange wir denken können - nichts positives, es sei denn, man imaginiert einen zustand vor dem einbruch des kapitalismus und seiner vorformen und setzt selbigen mit einem unhistorischen paradies gleich, in dem man von der halbtagsarbeit auf der eigenen scholle seine butterstullen verdient.

und ja, der "entwicklungsstand" der ehemaligen kolonialländer hat unmittelbar mit dem kolonalismus zu tun. er wäre ohne diesen ein anderer, über den zu spekulieren allerdings müßig ist. so sind die ungerechten strukturen in brasilien mit großgrundbesitz und macht der großgrundbesitzer (im gegensatz zum spanischen lateinamerika, wo nicht so eine extreme freiheit bei der landnahme herrschte) konsequenz des laschen regimes aus dem mutterland. oder ist ungerechtigkeit auch nur ein linkes konstrukt?

dekonstruktivistisches - statt strukturellem - denken, scheint mir nicht viel zur problemfindung, noch gar zu dessen lösung beizutragen, denn oft bleibt die dekonstruktion des äußeren (oder veräußerten) standpunkts wegen ebenso hilflos wie der kern des problems unberührt.

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