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Elmar Altvater

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2007-11-05

Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen

Überarbeitete Version eines Vortrags im Stadttheater Freiburg im Breisgau, April 2007; dieser Vortrag lag auch Altvaters Ausführungen bei der Tagung „Welche Zukunft machen wir?" zugrunde. Die Beiträge der anderen Referenten Josef Riegler und Theo Rauch sowie weiteres von Elmar Altvater finden Sie r hier


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r hier

Es kommt wohl nicht häufig vor, dass in einem Theater über den Kapitalismus im Jargon der Sozialwissenschaften gesprochen wird. Es ist wohl noch ungewöhnlicher, wenn die Übel des Kapitalismus nicht nur an den Pranger gestellt werden, etwa mit Goethes Worten „Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie nicht zu trennen“, sondern das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, nüchtern festgestellt wird. Doch ist dies gar nicht so verschroben, wie es zunächst klingen mag. Denn alles auf Erden findet in den Koordinaten von Raum und Zeit statt. Folglich hat alles einen Anfang und daher auch ein Ende. Das gilt für alle lebendigen Organismen und folglich auch für den Kapitalismus als eine gesellschaftliche Form, die von Menschen gemacht ist. An die Form haben wir uns so sehr gewöhnt, dass wir sie schon beinahe für naturgegeben und ewig halten.

Dieses Denkmuster ist nahe liegend, wenn man einem nach 1989 verbreiteten Diskurs folgt. Das „Ende der Geschichte“ sei nach dem „Sieg im Kalten Krieg“ erreicht, weil paradoxerweise die moderne kapitalistische Gesellschaft mit ihren sozialen und politischen Institutionen und Prozeduren, also mit formaler Demokratie, Markt und Pluralismus, den Höhepunkt der sozialen Entwicklung des Menschengeschlechts markiere. Sie scheint grenzenlos, ewig und daher geschichtslos zu sein. Eine andere, nicht-kapitalistische Gesellschaft befindet sich außerhalb des Gesichtskreises der Zeitgenossen. Der „Kommunismus“, so Bertolt Brecht, ist das Einfache, das schwer zu machen ist“. „There is no alternative“ hält Margret Thatcher brutal dagegen. Für immer Kapitalismus, weil gesellschaftliche Alternativen nicht nur schwer zu machen sind, sondern keinen historischen Sinn haben.

Wer dennoch das Ende des Kapitalismus für möglich hält, gilt als weltfremder Narr, der das Rad der Geschichte drehen möchte, obwohl es zum Stillstand gekommen und seine Bewegung blockiert ist. Die Geschichte ist am Ende, die „beste aller möglichen Welten“ ist Wirklichkeit geworden. So lautet die logische Folgerung von Gottfried Wilhelm Leibniz, dem deutschen Universalgelehrten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Da die Welt vom gütigen und gerechten Gott geschaffen wurde und die göttliche Weisheit nicht in Frage gestellt werden kann, ist die Welt, in der wir leben, trotz aller chaotischen Verhältnisse und trotz aller Übel die „beste aller möglichen Welten“. Mehr noch: die Übel sind die Bedingungen des Guten. Kapitalismus erhält, wie Walter Benjamin kritisierte, etwas Religiöses. Kein Wunder, hatte doch Marx schon im „Kapital“ nachgewiesen, wie die von den Menschen als Waren erzeugten Dinge auf einmal Macht über ihre Produzenten gewinnen. Den äußeren Sachzwängen, heute des Weltmarktes, ist zu gehorchen. Das Wort „Fetisch“ leitet sich aus dem portugiesischen „feiticio“, dem Machwerk ab.

Voltaire hat diesen heroischen Fatalismus in seinem Spottroman „Candide“ schon im 18. Jahrhundert, im vorrevolutionären Frankreich persifliert. Heute hätte ein moderner Voltaire viel mehr Anlass, sich über die Verhältnisse im globalisierten Kapitalismus und über dessen dunkle Seiten, über ökologische Zerstörung und soziale Ungleichheit, über Geldwäsche und Korruption, Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit, über Terror und Krieg gegen den Terror, über Folter und Geheimgefängnisse aufzuregen.

Also ist die Frage eines Interviewers der TAZ, die er an den Soziologen Ulrich Beck richtet, gar nicht so fern liegend: „..hat der Kapitalismus … noch eine Zukunft?“ Und Ulrich Beck antwortet: „Der uns bekannte Kapitalismus verändert seine Prämissen, sein Gesicht…“ und deshalb sei es nicht mehr angebracht, „auf die Mechanismen des Marktes (zu) vertrauen“ (TAZ, 3.4.07).

Für den Sinneswandel haben vor allem die jüngsten Berichte über den Klimawandel und seine Ursachen gesorgt. Sind wir nicht dabei, die Sphären der Natur mit unserem Müll zu überlasten, die Gewässer, die Böden und insbesondere die Atmosphäre? Und ist dafür nicht die Art und Weise verantwortlich, wie wir produzieren und konsumieren, wie wir arbeiten und leben? Hat daher nicht der venezolanische Präsident Hugo Chavez eher Recht, wenn er den Kapitalismus für die Naturzerstörung verantwortlich macht, als die Herausgeber der Zeitschrift „Merkur“, die vor einigen Jahren ihre Autoren unter dem Hefttitel „Kapitalismus oder Barbarei“ schreiben ließen?

I.

Was müssen wir eigentlich unter „Kapitalismus“ verstehen? Der Begriff des „Kapitalismus“ wird ja weder von Adam Smith im späten 18. und David Ricardo im frühen 19. Jahrhundert verwendet, und auch in den drei Bänden des „Kapital“ von Marx findet man das Wort „Kapitalismus“ nur ein einziges Mal. Erst der Wirtschaftshistoriker Werner Sombart führt zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Kapitalismus-Begriff in seine epochale Analyse der historischen Entwicklung vom „Vorkapitalismus“ über den „Frühkapitalismus“ zum „Hochkapitalismus“ ein. Im „Hochkapitalismus“ hat sich der Kapitalismus als System gegenüber anderen „Wirtschaftsstilen“ und „Wirtschaftsgesinnungen“ historisch durchgesetzt; das System hat sich sozusagen auf den Begriff gebracht und bis zur Kenntlichkeit entwickelt.


Von Elmar Altvater ist zum Thema obiges Buch erschienen, mehr dazu unter r www.socialnet.de/

Auch Marx geht davon aus, dass die kapitalistische Produktionsweise bzw. Gesellschaftsformation historisch ist. Sie sind aus anderen Produktionsweisen (im westlichen Europa aus dem Feudalsystem) hervorgegangen und es werden andere folgen. Welche das sind, kann heute niemand sagen. Marx war da wesentlich offener als viele seiner Nachfolger. An die russische Volkstümlerin Vera Sassulitsch schrieb er einst, er gehe nur im Falle der entwickelten Länder Westeuropas davon aus, dass der Gang vom Feudalismus über den Kapitalismus zum Sozialismus notwendig sei. In Russland könne auch die Dorfgemeinde die Basis einer anderen Gesellschaftsordnung sein.

Wie muss man sich das Ende des Kapitalismus vorstellen, bricht der historische Kapitalismus zusammen? Der Rock-Sänger Peter Licht fragt in seinen „Liedern vom Ende des Kapitalismus“: „Hast Du schon gehört, das ist das Ende, das Ende vom Kapitalismus. Es ist vorbei, vorbei, vorbei…“ Der französische Historiker Fernand Braudel hat eine etwas andere Antwort: Der „Kapitalismus als Struktur ist von langer Dauer“, schreibt er und „der Kapitalismus als System hat alle Aussichten“, auch die schwerste Krise zu überstehen, „ja es könne sogar sein, dass er wirtschaftlich… gestärkt aus ihr hervorgeht“ (Braudel 1986: 695; 702). Der Kapitalismus ist also nicht vorbei, die Stabilität der modernen kapitalistischen Gesellschaften darf nicht unterschätzt werden. Dies war auch Rosa Luxemburgs Position. Sie begründete zwar theoretisch, dass die Akkumulation von Kapital dann an ein Ende gerate, wenn es keine nicht-kapitalistischen Bereiche mehr gäbe. Aber, so fügte sie hinzu, auf den Zusammenbruch des Kapitalismus könne man warten, bis „die Sonne in die Erde fällt“. Der Kapitalismus findet ein Ende nur durch die Aktion der Massen. Doch bis dahin ist es lange Zeit hin. Denn der Kapitalismus hat eine in der Geschichte der Menschheit einmalige Dynamik seit der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgelöst und sich in seinen Krisenzeiten immer wieder wie im Jungbrunnen erneuert. Das war nach Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so. Das bejubelt die Weltbank in einem nachgerade euphorischen Rückblick auf die zehn Jahre seit der Asienkrise im Jahre 1997/98. Aber wird sich das kapitalistische System immer wieder am eigenen Zopf aus dem selbst erzeugten Sumpf ziehen? Der schon zitierte französische Historiker Fernand Braudel gibt uns einen Hinweis. Er schreibt: „Der Kapitalismus, davon bin ich ... überzeugt, kann nicht durch einen ‚endogenen‘ Verfall zugrunde gehen; nur ein äußerer Stoß von extremer Heftigkeit im Verein mit einer glaubwürdigen Alternative könnte seinen Zusammenbruch bewirken...“ (Braudel 1986b: 702).

Braudels Annahme von dem „äußeren Stoß von extremer Heftigkeit“ gründet auf einem bestimmten Verständnis von der „Innenwelt“ und „Außenwelt“ des Kapitalismus, und daher auch von Offenheit und Geschlossenheit. Das Verhältnis von „innen“ und „außen“ hat sich aber radikal, ja revolutionär in der kapitalistischen Produktionsweise gewandelt. In der gesamten Menschheitsgeschichte war die Einstrahlung der Sonne wichtigste Energiequelle. Die Sonnenstrahlen kommen zur Erde von außen und die überflüssige Wärme wird ins „schwarze Loch“ des Weltalls abgestrahlt, so dass die Strahlen- und Temperaturbilanz der Erde einigermaßen ausgeglichen ist, von den langfristigen durch Sonnenflecken und andere natürliche Faktoren bewirkten Unregelmäßigkeiten abgesehen.

Dies ändert sich seit der industriellen Revolution. Wenn nämlich die Energiequellen der fossilen Lagerstätten in der Erdkruste angezapft werden, kommt die Energie nicht mehr von außen, sondern von innen. Das energetisch offene System verwandelt sich in ein geschlossenes. Das ist tatsächlich eine Revolution, deren Bedeutung uns erst heute klar wird. Denn auf der Input-Seite werden Bestände fossiler Energieträger angezapft, die sich über Jahrmillionen in der Erdkruste gebildet haben, aber irgendwann einmal, und zwar nach wenigen Jahrhunderten ihrer Ausbeutung erschöpft sein werden. Die Verbrennungsprodukte der fossilen Energieträger ihrerseits bleiben für lange Zeit in der Atmosphäre und haben die uns alle inzwischen beunruhigende Eigenschaft, die Wärmeabstrahlung ins Weltall zu behindern, so dass sich die Erdatmosphäre langsam, aber unvermeidlich aufheizt. Der Planet Erde wird in ein „Treibhaus“ verwandelt. Die „Klimakatastrophe“ ist Realität, die jüngst erschienenen Berichte von Nicholas Stern (übrigens im Auftrag der britischen Regierung) und des „Intergovernmental Panel on Climate Change“, „Weltklimarats“ der UNO lassen keine Zweifel mehr zu.

Weder die Begrenztheit der fossilen Energiereserven noch der Treibhauseffekt sind äußere Anstöße im Sinne Fernand Braudels, sondern gehören zu den grundlegenden Eigenschaften des fossilen Energieregimes, das so perfekt zum Kapitalismus passt. Die Widersprüche kapitalistischer Entwicklung ergeben sich heute also nicht nur aus den sozialen Gegensätzen zwischen Arbeiterklasse und Kapital, sondern inzwischen auch aus dem gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur, daraus, wie wir im Kapitalismus mit der lebendigen Natur und mit den Energie- und Materialflüssen umgehen.

II.

Zu Beginn des Industriezeitalters hat kaum jemand an Grenzen der Energieversorgung oder an die klimatischen Folgen der Verbrennung fossiler Energien gedacht. Daher war der Gedanke an ein Ende des Kapitalismus eher abwegig. Vom Treibhauseffekt weiß man eigentlich erst seit den Forschungen des schwedischen Physikers und Chemikers Svante August Arrhenius gegen Ende des 19. Jahrhunderts, und dieser sah darin nichts Dramatisches. Denn der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre erlaube es den Menschen, „unter wärmerem Himmel zu leben“. Man war vielmehr fasziniert von der außerordentlichen Dynamik kapitalistischer Gesellschaften, wenn auch sehr bald betroffen von den sozialen Verwerfungen, die die Arbeiterklasse zu erleiden hatte. Die Botschaft des britischen Ökonomen und Moralphilosophen Adam Smith aus dem Jahre 1776 vom steigenden „Wohlstand der Nationen“ hatte deshalb eine gar nicht zu überschätzende Wirkung über die Jahrhunderte hinweg bis in unsere Tage. Die Übereinstimmung von sozialer Formation, Technik, Markt und fossilen Energieträgern, die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsteht, ist für die Dynamik der kapitalistischen Gesellschaften hauptverantwortlich.

Dies lässt sich auch mit Zahlen belegen. Seit der industriellen Revolution verzehnfacht sich der jahresdurchschnittliche Anstieg der Pro-Kopf-Einkommen von 0,22% in den vielen Jahrhunderten seit Christi Geburt auf jahresdurchschnittlich 2,2% vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Millenniums (genauer: von 1820-1998; Maddison 2001). Der Lebensstandard der Menschen in den Industrieländern hat sich seitdem außerordentlich verbessert. Denn eine zweiprozentige Wachstumsrate bedeutet, dass sich das Prokopf-Einkommen von einer Generation zur nächsten verdoppelt. Tatsächlich sind Unterernährung und Hunger verschwunden – zumindest in Europa in friedlichen Zeiten. Inzwischen ist Hunger in vielen Weltregionen, selbst in den entwickelten Industrieländern, zurückgekehrt. Denn der wachsende Wohlstand wird in der Welt extrem ungleich verteilt. In Westeuropa beträgt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Jahre 1998 17.921 US$, in den USA und Kanada liegt es bei 26.146 US$. In Asien (ohne Japan) beträgt der Durchschnitt der Pro-Kopf-Einkommen aber nur 2.936 US$, und in Afrika 1.368 US$, also ein Zwanzigstel des Wertes in den USA. Und Milliarden Menschen müssen mit noch weniger, nämlich mit 1 US$ und weniger pro Tag auskommen, wie die Armutsstatistik der Weltbank belegt. Wachstum ist also keineswegs mit mehr Gleichheit und weniger Armut in der Welt verbunden. Im Gegenteil, Ungleichheit wird zu einer Lebenserfahrung und zu einem Ärgernis zumindest für jene, die zu den Benachteiligten gehören. Kapitalismus, dies zeigt sich von Anbeginn an, ist ein System der qualitativen Angleichung (alles wird in Geld und Kapital ausgedrückt), des quantitativen Wachstums und der Ungleichheitsproduktion: Die einen haben viel, die anderen wenig und einige gar keine Geldeinkommen. Daher sind auch die monetären Ansprüche an die Ressourcen der Erde höchst ungleich. Die Menschen haben einen verschieden großen „ökologischen Fußabdruck“.

Nachdem es so dramatisch seit der industriell-fossilen Revolution gesteigert werden konnte, wird Wachstum eine zentrale Kategorie in modernen ökonomischen und politischen Diskursen. Wachstum ist „gut für die Armen“, behaupten Weltbank-Autoren. An der Wachstumsrate werden Regierungspolitiken im internationalen Vergleich bewertet, z.B. seitens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Wachstum bringt im wesentlichen Vorteile, meint auch der Rat der Wirtschaftsweisen (Council of Economic Advisers) des US-Präsidenten (in seinem „Economic Report for the President“). Daher sollten alle Länder einige „Pro Growth Principles“ befolgen. Dazu gehören unter anderen: Liberalisierung und Öffnung der Märkte, Ankurbelung des Wettbewerbs und des Unternehmertums, die Privatisierung von öffentlichen Gütern, Stabilitätspolitik (economic freedom, competition and entrepreneurship, macroeconomic stability, privatization, openness to international trade, foreign direct investment and financial flow liberalization; ERP 2003: 213ff). Das ist die neoliberale Agenda pur. Die Weltökonomie muss wachsen, lautet das Credo, das unzählige Male wiederholt wird. Je höher das Wachstum, desto weniger wirtschaftliche, soziale und politische Probleme – und umgekehrt. Kein Wunder also, dass auch der schwarz-roten Bundesregierung laut Koalitionsvertrag „neues Wachstum“ als ein vorrangiges Ziel gilt.

Doch erst seit den 1920er Jahren entsteht die Wachstumstheorie. In der frühen Sowjetunion beginnt damals die Planung der Wirtschaft. Jetzt kommt es darauf an, dass die Proportionen der Branchen und Abteilungen (Investitionsgüter und Konsumgüter) stimmen. Mit der „makroökonomischen Wende“ nach dem großen Schock der Weltwirtschaftskrise vor einem Dreivierteljahrhundert kommt die Wachstumsfrage auch in der westlichen ökonomischen Theorie auf die Agenda, zumal inzwischen der „Systemwettbewerb“ ausgebrochen ist. Das erklärte Ziel lautet: Steigerung der Wachstumsraten, um den Kapitalismus „einzuholen und zu überholen“, bzw. – von westlicher Seite - um den Vorsprung gegenüber der Sowjetunion und später gegenüber dem „sozialistischen Lager“ zu wahren, Mittel für den Ausbau des Wohlfahrtsstaates verfügbar zu haben und Vollbeschäftigung herzustellen. Das waren die großen Ziele in der Zeit des nach dem großen britischen Ökonomen John Maynard Keynes so genannten Keynesianismus.

Wachstum wird zu einem Element der Alltagswelt und wird zu einer Selbstverständlichkeit, die überhaupt nicht selbstverständlich ist. Dies lässt sich am Beispiel der Automobilindustrie darstellen: Das Automobil ist das entscheidende Symbol für Modernität, Wohlstand, Mobilität und Dynamik, es hat einen zentralen Stellenwert bei der Ankurbelung von Wachstum und bei der Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit von „Standorten“. Die Entwicklung einer eigenständigen Automobilindustrie gilt als Schlüssel der Industrialisierung schlechthin. Die Städte, die Kommunikations- und Transportstrukturen sind auf das Automobil zugeschnitten, also auf Beschleunigung und Expansion.

Das Automobil ist das paradigmatische Produkt des fossilen Zeitalters. Ohne Öl kein Auto, und ohne Auto nicht die Art von Mobilität, die das 20. Jahrhundert und wenige Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts prägt – so lange nämlich die Versorgung mit Öl reicht. Der Fossilismus hat sich mit dem Automobil und allen seinen Begleiterscheinungen in den Lebenswelten eingenistet, zu einer Kultur verdichtet. In jeder Plastiktüte ist er präsent, und jeder Last-minute-Flug ist ein (fossiles) Erlebnis – für die Generationen der Öl-Bonanza, für spätere Generationen nicht mehr. So kommt es, dass die Wachstumsdynamik nicht nur aus den Investitionen stammt, sondern auch aus dem Konsum. Wachstum wird zum Fetisch, dessen Lebenssaft aus fossilen Energieträgern, vor allem aus Öl besteht.

Damit geht eine paradoxe Verkehrung einher. In der Frühzeit der kapitalistischen Industrialisierung gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte die Nutzung fossiler Energieträger eine beträchtliche Steigerung des Wachstums zur Folge. Ein gesellschaftlicher Imperativ des Wachstums jedoch existierte in jener Epoche nicht. Denn die Gesellschaften waren nicht vollständig durchkapitalisiert. Das Gewicht der Landwirtschaft war groß. Selbst Industriearbeiter hatten noch ihren „Kotten“ und züchteten Hühner, ernteten Kartoffeln, Kohl und Obst. Es gab nicht-kapitalistische Räume, in denen das Gesetz von Profit, Akkumulation und Zins keine volle Gültigkeit hatte.

Heute ist Wachstum in Produktion und Konsumwelt gleichermaßen eingeschrieben. Die Finanzmärkte spielen dabei eine immer wichtigere Rolle. In der globalen Konkurrenz der Finanzplätze, in der Welt von Hedge- und Private equity Fonds nämlich werden Renditen von Finanzanlagen verlangt, die 20% und mehr betragen. So hohe Zuwächse hat es über längere Zeiträume auch in den Zeiten der „Wirtschaftswunder“ nirgendwo gegeben. Wenn das reale Wachstum zur Bedienung von Finanzanlagen unzureichend ist, muss es gesteigert werden, oder es findet ein brutaler Prozess der Umverteilung zu Gunsten der Finanzanleger auf globalen Märkten statt. Als „accumulation by dispossession“, als Akkumulation von Finanzkapital durch Enteignung anderer gesellschaftlicher Schichten ist dieser Zwang vom US-amerikanischen Sozialgeographen David Harvey bezeichnet worden.

III.

Die Ökonomie des Wachstums kann sich erst so recht entfalten, als die fossilen Energien mit Hilfe der neuen Techniken der industriellen Revolution die begrenzten biotischen Energien von Mensch und Tier ergänzen und ersetzen. Kohle und ab Ende des 19. Jahrhunderts vor allem Öl und Gas sind der kapitalistischen Produktionsweise höchst angemessen. Fossiles Energieregime und soziale Formation des Kapitalismus passen nahtlos zusammen, und dies aus mehreren Gründen.

Erstens können fossile Energieträger anders als Wasserkraft oder Windenergie weitgehend ortsunabhängig eingesetzt werden. Sie können von den Lagerstätten relativ leicht zu den Verbrauchsorten verbracht werden, heute mit Hilfe von Pipelines und Tankschiffen. Die ökonomische Geographie wird daher weniger von natürlichen Gegebenheiten als von der Kalkulation der Rentabilität von Kapitalanlagen an verschiedenen und miteinander konkurrierenden „Standorten“ beeinflusst. Der Reichtum an natürlichen Ressourcen eines Landes hat nicht automatisch zur Folge, dass dieser auch in ökonomischen Wohlstand verwandelt wird. Die Nutzung der natürlichen Ressourcen kann fernab von den Lagerstätten erfolgen. So kommt es, dass manche ressourcenreiche Länder arm dran sind, während ressourcenarme Länder ein hohes Wohlstandsniveau aufweisen. Der Ölreichtum Nigerias gilt den Bewohnern des Niger-Deltas als „Ölfluch“ wegen der Umweltzerstörung bei der Förderung und beim Transport, und weil sie von den Öleinnahmen nichts hat. In Venezuela ist das Öl auch das „Exkrement des Teufels“ genannt worden, bis die Öleinnahmen nicht mehr nur zur Bereicherung der Eliten, sondern auch zur Finanzierung von Sozialprogrammen benutzt worden sind.

Zweitens sind fossile Energieträger weitgehend zeitunabhängig, da sie leicht zu speichern sind und 24 Stunden am Tag und dies über das ganze Jahr unabhängig von den Jahreszeiten genutzt werden können. Anders als die biotischen Energien, die nur dezentral in zumeist kleinen Einheiten in nützliche Arbeit umgesetzt werden können und in aller Regel (d.h. wenn man von der Speicherung absieht) nur dann, wenn die Sonne scheint, erlauben die fossilen Energien Konzentration und Zentralisierung ökonomischer Prozesse, wenn es das Rentabilitätskalkül sinnvoll erscheinen lässt. Die fossilen Energieträger können jedes Größenwachstum mitmachen, also mit der Akkumulation des Kapitals mitwachsen und sie erlauben die Beschleunigung aller Prozesse. Letzteres ist aber nichts anderes als die Steigerung der Produktivität. In der gleichen Zeit werden mehr Waren erzeugt oder die gleiche Menge Waren in verkürzter Produktionszeit. Die Steigerung der Produktivität der Arbeit ist, wie Adam Smith und Karl Marx gleicherweise betonten, die „Mission des Kapitalismus“, seine historische Rechtfertigung. Denn nun kann sich das Wachstum der Wirtschaft bzw. die Akkumulation des Kapitals von den natürlichen Bedingungen der Ressourcenausstattung und der Bevölkerungsentwicklung befreien. Mit Hilfe von industrieller Technik, des Einsatzes fossiler Energien in der sozialen Organisation des Kapitalismus wird die Steigerung des „Wohlstands der Nationen“ in einem Ausmaß möglich wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Nach Adam Smith ist dies eine Folge der Arbeitszerlegung in der Fabrik und der Arbeitsteilung in der Gesellschaft, gelenkt durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes, heute erzwungen durch den globalen Wettbewerb.

Dabei ist die Funktionsweise der globalen Finanzmärkte heute besonders wichtig. Denn infolge des hohen Niveaus der Realzinsen und Renditen wird ein enormer Druck auf ökonomische und politische Akteure ausgeübt wird, das reale Wachstum zu steigern. Der dominante Wachstumsdiskurs bietet dabei die ideologische Unterstützung. Das hohe Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei Jahrhunderte seit der industriellen Revolution wäre aber gar nicht denkbar ohne die Ausbeutung der fossilen Energieträger.

IV.

Das Öl jedoch geht zur Neige, und dies ist einer der Schocks, von denen Fernand Braudel sprach. Niemand kann genau sagen, ab wann es nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Doch spricht vieles dafür, dass der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung von bisher an die 1000 Mrd. Fässern von je 159 Litern im Verlauf dieses Jahrzehnts überschritten sein wird. Dann gibt es zwar immer noch Öl, nämlich zwischen geschätzten 748 Mrd. Fässern (ASPO) und 1149 Mrd. Fässern (BP). Die statische Reichweite, d.h. unter der Annahme, dass der Jahresverbrauch nicht steigt, beträgt dann etwa 40 Jahre. Der Ölmulti Chevron, der es ja wissen muss, hat in der „Financial Times“ vor etwa zwei Jahren eine zweiseitige Anzeige geschaltet: „Wir haben 125 Jahre gebraucht, um die erste Billion Fässer Öl zu verbrauchen. Für die zweite Billion benötigen wir nur 30 Jahre“ (FT 26.7.2005) – und dann gibt es nach allem was wir heute wissen, kein Öl mehr auf dem Planeten Erde. Die jährlich neu gefundenen Lager sind schon heute wesentlich kleiner als die Jahresförderung, so dass die Bestände abnehmen und die Angebotskurve des Öls nach unten neigt - und dies bei steigender Nachfrage nach Öl. Denn alle neu industrialisierenden Länder, z.B. Indien und China oder Brasilien und Südafrika, sind auf den Treibstoff von Wachstum, Produktivität, Mobilität und daher Wohlstand angewiesen, und die bereits hoch entwickelten Länder sind nicht in der Lage und kaum bereit, ihre Nachfrage nach Öl zu drosseln.

Die USA haben den Scheitel ihrer Ölförderung (ihr „Peakoil“) bereits Anfang der 1970er Jahre überschritten. Sie können den inländischen Verbrauch mit inländischer Förderung nicht mehr decken. Die entstehenden Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage können nur durch Importe überwunden werden. Schon im Mai 2001 (also vor dem 11. September) hat der Vizepräsident der USA Cheney (Ex-Chef von Halliburton) einen Bericht über die Ölsicherheit der USA vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass die heimische Produktion bis 2020 von 8,5 auf 7 Mio. Fässer pro Tag (b/d) zurückgehen, dass der Ölverbrauch von 19,5 auf 25,5 Millionen b/d ansteigen wird und daher die wachsende Lücke durch Importe gedeckt werden müsse. Die Importe werden um 68% von 11 auf 18,5 Mio. b/d wachsen. Die Sicherung der Energieversorgung erlangt also höchste Priorität in der US-Außenpolitik. Aber auch die EU, China oder Brasilien sorgen sich um Energiesicherheit und um den Zugang zu den „Tankstellen“ des Planeten.

Denn in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt muss die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden, und das geht in aller Regel nur, wenn auch mehr Energie verbraucht wird. Darüber hinaus erzwingen die hohen Zinsen und Renditen auf Finanzmärkten hohe reale Wachstumsraten und mithin steigenden Energieverbrauch. Schließlich ist es der Bevölkerung keines Landes zu verdenken, wenn sie auch so gut leben will wie die Amerikaner und die Europäer und daher das westliche Konsummuster mit hohem Energieverbrauch anstrebt.

Wenn das Angebot nicht entsprechend der Nachfrage ausgedehnt werden kann, steigt unweigerlich der Preis des „schwarzen Goldes“. Importländer von Öl müssen daher steigende Anteile ihrer Exporterlöse für den Import des Öls aufwenden, insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer. Wenn der Ölpreis auf 70 US$ pro Fass steigt, muss Indien 70% der Exporteinnahmen allein für die Ölrechnung abzweigen. In manchen ärmeren afrikanischen Ländern kann man schon heute Öl nur noch auf dem Schwarzmarkt bekommen.

Auch die mächtigen USA haben in der Auseinandersetzung um die fossilen Energien eine Achillesferse. Denn angesichts der Defizite in Budget und Leistungsbilanz der USA von jeweils vielen hundert Millionen US-Dollar und einer drohenden Abwertung des US$ ist es nicht unwahrscheinlich, dass Ölexporteure dazu übergehen, den Ölpreis in anderer Währung als dem US$, in Euro zum Beispiel, zu fakturieren. Der Krieg gegen den Irak hat den Nebeneffekt gehabt, dass Tendenzen, den Dollar als Ölwährung abzulösen, (in Venezuela, Irak, Lybien) zunächst gestoppt worden sind. Aber sie kommen wieder, wenn die USA ihr Zwillingsdefizit nicht reduzieren und sich nicht aus dem irakischen Sumpf durch Rückzug befreien können. Die USA bekämen ein riesiges Problem, wenn sie die steigenden Ölimporte nicht mehr in US-Dollar begleichen könnten, sondern beispielsweise in Euro bezahlen müssten. Wenn die jährlichen Ölimporte, wie der Cheney-Bericht ausführt, von 4 Mrd barrels auf etwa 7 Mrd barrels im Jahr 2020 steigen, sind bei einem Preis von ca. 50 US$ pro barrel derzeit 200 Mrd US$ für die Bezahlung der Ölrechnung nötig, 2020 wären es schon an die 350 Mrd US$. Das sind nach dem Wechselkurs Anfang 2005 etwa 260 Mrd Euro.

Für Exportländer von Öl ist die Steigerung von Ölexporten und Öleinnahmen ein Vorteil. Denn nun können sie ihre Schulden abbauen, die Verwundbarkeit ihrer Ökonomien durch Bildung von Reserven für die Zeit nach dem Ölrausch reduzieren, die Wirtschaft diversifizieren oder Luxusimporte tätigen, wie dies in einigen Golfscheichtümern geschieht. Der Ölreichtum fördert aber auch eine einseitige Ausrichtung der Ökonomie, öffnet der Korruption ein weites Feld und bietet eine offene Flanke für Interventionen von außen, wie besonders brutal und mörderisch im Irak. Der Ölreichtum kann sich in einen Fluch verwandeln, der auch nicht durch die Verwandlung der Ölreserven in Petrodollarreserven, mit denen in der Welt spekuliert werden kann, abwenden lässt.

Die Konflikte um Ölressourcen und Ölmärkte werden auch auf politischem Terrain ausgetragen: Als Kampf um Territorien der Ölförderung und der Logistik (pipelines oder Tankerrouten), als Auseinandersetzung um die Preisbildung und die Währung, in der die Ölrechnungen ausgestellt werden. Ein neues „Great Game“ um den Zugang zu den Ölressourcen, wie die Auseinandersetzungen um das Öl des Kaukasus vor 100 Jahren bezeichnet wurden, ist eröffnet, dieses Mal nicht nur im Kaukasus und im Nahen und Mittleren Osten, sondern in der ganzen Welt. Pipelineistan, wie von manchen Spöttern Zentralasien bezeichnet wird, ist heute überall, es ist global.

Die wunderbare Übereinstimmung von Kapitalismus und Fossilismus erweist sich nun als eine Falle. Das gesellschaftliche System des Kapitalismus ist autoreferentiell und daher maßlos. Die fossilen Energien jedoch haben ein natürliches Maß. Das sind ihre Verfügbarkeit am Beginn der Energiekette und die Tragfähigkeit der natürlichen Sphären für die Verbrennungsprodukte, vor allem das CO2 am Ende der Energiekette. Damit werden wir uns nun beschäftigen müssen.

V.

Die Konfliktträchtigkeit des fossilen Regimes zeigt sich auch beim Umgang mit den Treibhausgasen. Wegen der Schädlichkeit der Treibhausgasemissionen ist ja das Kyoto-Protokoll erarbeitet worden, das nach der Unterzeichnung durch Russland im Februar 2005 in bindendes internationales Recht verwandelt worden ist. Die USA haben diese multilaterale Übereinkunft nicht unterzeichnet. Doch lässt sich davon die Klimaentwicklung nicht beeindrucken. Dies ist das nüchterne Fazit aus dem Bericht von Nicholas Stern ebenso wie aus den Reports des Intergovernmental panel on climate change. Der Treibhauseffekt bedroht die Umweltsicherheit, Nahrungssicherheit, die Sicherheit der Behausung, der Gesundheit der Menschen in aller Welt. Die Eiskappen an den Polen schmelzen ebenso wie die Gletscher in den Hochgebirgen, der Meeresspiegel steigt, die Artenvielfalt geht zurück, die ungewöhnlichen Wettereignisse, Hitzeperioden und Dürren, Starkregen und Hurricanes werden häufiger auftreten. Der menschengemachte Klimawandel ist sehr, sehr teuer. In der Mitte des 21. Jahrhunderts werden jährlich Kosten in der Größenordnung von 2000 Mrd. US$ erwartet. Die jahresdurchschnittlichen Kosten haben sich von 54 Mrd. US$ in den 1960er Jahren auf 432,2 Mrd. US$ in den 1990er Jahren verachtfacht (nach Angaben der Versicherungsgruppe „Münchner Rückversicherung“, die sich mit ihrer Prämienkalkulation für den Treibhauseffekt und seine Konsequenzen zu wappnen versucht. Allein im Jahre 2005 betragen die Schäden durch außergewöhnliche Wettbedingungen an die 250 Mrd. US$, davon sind 75 Mrd. US$ versichert (FR, 30.12.05).

Auf die dramatischen Folgen des möglichen Klimakollapses richtet sich inzwischen auch das Pentagon mit unilateralen Präventionsmaßnahmen ein. Nicht vorbeugender Klimaschutz zur Vermeidung einer abrupten Klimaänderung ist die politische Linie der Bush-Cheney-Rumsfeld-Administration, sondern die militärische Abwehr gegen die Folgen der klimatischen Änderungen. Insbesondere die zu erwartenden Migrationsströme sollen rechtzeitig mit militärischen Mitteln abgefangen werden. (Schwartz/ Randall 2004: www.ems.org/climate/pentagon_climatechange.pdf).

VI.

Grenzen des Kapitalismus zeigen sich also überall. Wenn das Öl zur Neige geht und das Klima des Planeten Erde kollabiert, könnte dies der Schock sein, den Fernand Braudel erwähnte. Nur käme er nicht von außen, sondern wegen der Geschlossenheit des fossilen Energiesystems aus dem inneren Kern der kapitalistischen Produktionsweise. Die Welt könnte im Chaos versinken. Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, käme an ein Ende. Doch damit kommt die Geschichte nicht an das ihr von Margret Thatcher oder Francis Fukuyama prophezeite Ende. Es gibt nämlich die überzeugenden Alternativen, die im Innern der Gesellschaft heranreifen, und die über den Kapitalismus, wie wir ihn kennen, hinausweisen. Der historische Pessimismus vom Ende der Geschichte, wenn sich die Prinzipien von Markt und Demokratie durchgesetzt haben, ist also nicht gerechtfertigt.

Tatsächlich erhellt bereits der Blick zurück in die Geschichte des Wirtschaftens, wie unterschiedlich in verschiedenen Kulturen und Geschichtsepochen Ökonomie und Gesellschaft koordiniert wurden, wie facettenreich die Denk- und Handlungsmuster sind, die sich in den immer wiederkehrenden, zur Routine gewordenen Handlungen herausbilden. Erst im modernen Kapitalismus mit seinen globalen Institutionen und in Folge der globalen Vereinheitlichung, für die die internationalen Institutionen wie WTO und IWF mitverantwortlich sind, wird die Diversität von Handlungslogiken auf ein dominantes Muster, nämlich dasjenige der Äquivalenz, reduziert, theoretisch begründet innerhalb der „pensée unique“ des Neoliberalismus und praktisch durchgesetzt innerhalb des Systems der Marktbeziehungen.

Doch gibt es auch das Prinzip der Solidarität und Fairness. Wir-AG statt Ich-AG, könnte man zuspitzen. Es verlangt keine hierarchische Regulation von Ökonomie und Gesellschaft von oben, im Gegenteil. Solidarität entsteht nur mit breiter Beteiligung von unten. Gemeinsame Anstrengungen zur Lösung eines gemeinsamen Problems sind gefragt. Jeder leistet seinen solidarischen Beitrag nach seinen Möglichkeiten, d.h. unter Bedingungen der Fairness. Solidarität setzt daher ein Bewusstsein von Gemeinsamkeit und innerer Verbundenheit in einer Gesellschaft voraus, die in einer Kultur, Ethnizität, Lokalität, Klasse oder einer die Klassen übergreifenden Lebenserfahrung begründet sein kann, um ein großes Problem, z.B. Arbeitslosigkeit, Armut oder Rechtlosigkeit, z. B. gegenüber Transnationalen Unternehmen gemeinsam zu bewältigen. So entsteht die „solidarische Ökonomie“ in vielen lateinamerikanischen Ländern als Alternative zu den kapitalistischen Unternehmen. Überall in der Welt erleben Genossenschaften eine Renaissance, in denen Menschen ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen und nicht auf Lösungen des Marktes oder des Staates warten.

Es ist aber auch klar, dass solidarisches Wirtschaften auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. In Brasilien und Venezuela sind Staatssekretäre für die solidarische Ökonomie eingesetzt worden. Manche Arbeitsplätze können geschaffen werden, wenn der Staat dies unterstützt. Der „Entbettung des Marktes aus der Gesellschaft“ wird in solidarischen und fairen Verhältnisse entgegengewirkt. Moralisch ist, so der französische Soziologe Emile Durkheim im 19. Jahrhundert, all das, was eine Quelle von Solidarität gegen die „Triebe des Egoismus“ und die Entfremdungstendenzen werden kann. Daher verwendet E.P. Thompson den Begriff der „moralischen Ökonomie“ für die bunten Formen des genossenschaftlichen Wirtschaftens. Die moralische Ökonomie ist eine praktische Antwort auf die „Entbettung“ des Marktes aus der Gesellschaft, also gegen die ökonomischen Sachzwänge. Daraus entwickeln sich die Konflikte mit den Mächten des Marktes, des Weltmarktes zumal.

Diese Konflikte haben immer eine politische Dimension. Denn in den meisten Fällen sind „community movements“ gezwungen, sich gegen Regierungen zu richten und in ihren Kämpfen Gegenmacht aufzubauen, indem Territorien, Land und Fabriken, Kohlenminen und Erdölfelder besetzt und verwaltet und gleichzeitig Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und manchmal auch mit Teilen des Staatsapparats geschmiedet werden.

Die Ansätze einer alternativen solidarischen Ökonomie entwickeln sich gegen die dominanten (neoliberalen) Tendenzen der Unterwerfung der Gesellschaften unter die Gesetze des globalen Marktes. Die generelle Richtung ist eindeutig zu bezeichnen und sie ist gut begründet: Die fossilen Energien müssen sehr schnell, denn das Zeitfenster ist wegen der Grenzen der Ölförderung nicht mehr lange offen, durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Die Erneuerbaren sind langsamer als die fossilen Energien und sie sind nicht unabhängig vom Ort: die Windenenergie, die Photovoltaik, die Wasserstoffwirtschaft, die Wasserkraft, die thermische Energie, die Gezeiten, die Biomasse. Keine dieser Energien kann die Bedingung der Kongruenz von Energiesystem und Kapitalismus so erfüllen wie die fossilen Energieträger, die in den vergangenen zwei bis drei Jahrhunderten die menschheitsgeschichtlich einmalige Wachstumsdynamik und Wohlstandssteigerung ermöglicht haben.

Zu Beginn des fossilen Zeitalters fand der Kapitalismus das ihm entsprechende Energiesystem sozusagen in nuce vor. Es musste nur in einer von Nicholas Georgescu-Roegen so genannten „prometheischen Revolution“ entwickelt werden. Dies ist in den letzten beiden Jahrhunderten seit der industriellen Revolution in bravouröser Weise geschehen. Die globale Autogesellschaft ist der Höhepunkt, und gleichzeitig das Memento, dass dieser Wege eine Sackgasse ist. Am Ende des fossilistischen Kapitalismus kann nur ein erneuerbares Energieregime weiterhelfen. Dem aber muss die soziale Formation des Kapitalismus angepasst werden. Das ist eine tiefere und umfassendere Revolution als es die französische oder russische gewesen sind. Sie ist auch schwieriger als die industrielle Revolution. Aber die ebenfalls existierenden Ansätze der solidarischen Ökonomie können die Verbindung zur Bewegung für die erneuerbaren Energieträger herstellen.

Der Kapitalismus verschwindet nicht von einem Tag auf den anderen wie der real existierende Sozialismus im Verlauf einer „samtenen Revolution“. Aber er wird sich am Ende des fossilen Energieregimes in einen anderen Kapitalismus als den, den wir kennen, verwandeln.

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Mimenda, 2007-11-05, Nr. 3979

die botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der glaube.

hinter dem von altvater vorgestellten steht der in meinen augen irrige glaube daran, dass das sein allein schon genüge, um das bewusstsein der menschen zu ändern. wonach es je ohnehin also auch noch schlimmer werden könnte, wenn nicht gar müsste, als es eh schon ist.

die analyse marxens, nach der sich wirtschaftliche prinzipien in der geschichte ablösen, ist sicher eine zutreffende kategorisierung, was das wirtschaften betrifft. es sagt aber wenig darüber aus, was dieses wirtschaften der welt im innersten zusammenhält. das ist nämlich der zauber (übrigens feitiço, nicht feiticio), der durch die analyse des äußerlichen wirtschaftens nur beschrieben, aber nicht tangiert ist.

und dieser fetisch ist keineswegs mit dem kapitalismus und der libidinösen bindung an die ware erst entstanden, sondern er war immer schon in der macht des herrn über den knecht anwesend: wo wir uns heute einbilden, zu herrschen, weil wir über waren verfügen (und damit auch sehr wohl über menschen, nur dass diese nicht mehr unmittelbar sondern bloß mittelbar unsere macht zu spüren bekommen), erliegen wir bloß einer noch größeren illusion bezüglich unserer fähigkeiten als die mächtigen anderer epochen.

es ist folglich in meinen augen letztlich vollkommen wurscht, ob sich der kapitalismus, wie wir ihn kennen, überlebt hat. wir können auch das, was danach kommen soll oder wird, ganz anders nennen. aber das kann ja nicht von dem umstand ablenken, dass es in der tat eine ungeheure beschleunigung aller ökonomischen tätigkeit gibt, die geradezu ein wettlauf um die globale macht oder wenigstens um den "gerechten" teil des kuchens darstellt.

da hilft auch die idee der solidarität kaum weiter, die gibt es ja bekanntlich mindestens seit unserer zeitrechnung.

umdenken kann überhaupt erst entstehen, wenn das system an seiner inneren logik zugrunde gegangen ist. dann aber wird wieder für eine gewisse zeit umgedacht wie nach dem zweiten weltkrieg, als uns die hand abfallen sollte, wenn wir wieder eine waffe in die hand nehmen sollten. nun, die hände blieben trotz contergan bei den meisten menschen voll funktionsfähig. und sie eiferten weiter im sinne dessen, was durch die hitlerei nur kurzzeitig in ein anderes licht gesetzt war, obwohl sie dieselbe sonne anbetete.

umdenken reicht nicht. solidarität und ähnliche romantische vokabeln sind bloße marketinginstrumente eines sich alternativ dünkenden zeitgeistes, seine ideologischen fackeln. es muss umgefühlt werden, sonst hört die sucht nach der macht des menschen über den menschen und die dinge niemals auf. der fetisch, der zauber muss gebrochen werden, dornröschen und der hofstaat aus seiner ewigen lähmung erwachen. aber wie?

karl marx und wilhelm reich, auf dessen 50. todestag am 3. november erika verwies, haben uns fingerzeige gegeben. aber weder will man heute die marxschen gedanken zu kenntnis nehmen noch will sich die sogenannte seriöse wissenschaft auch nur auf die überprüfung von reichs theorien einlassen. das "andere" hat die spießmenschen aller zeiten und länder immer schon zu tode geängstigt.

die beste aller welten, sehrwohl! leibniz' ableitung, nach dem, wenn gott vollkommen ist, etwas geschaffenes nicht vollkommen sein kann, scheint immer noch als rechtfertigung dafür dienen, dass wir zwar vieles tun, aber uns nicht ändern wollen. ändern sollen sich die anderen, aber das tun sie ja gerade: sie wollen alle so einen wohlstand wie wir und arbeiten daran.

so allerdings, indem wir ein wenig am symptom herumdoktern, statt das übel an der wurzel zu packen, kommen wir auf keinen grünen zweig, sondern bleiben weiter auf dem morschen ast sitzen, an dem wir selbst kräftig sägen und der sich auch dann nicht gesundbeten lässt, wenn sich noch ein wenig mehr moos an seiner nordseite findet.

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