2005-03-06
Die Wirkung des Unsichtbaren
Zur Keramik von Roland Summer
Die Freude, den Gefäßen von Roland Summer zu begegnen, lässt sich mit der Wiederentdeckung eines alten, verwandelten Freundes vergleichen. Unsere Überraschung und Bewunderung gilt zunächst der Selbstverständlichkeit, Kraft und Schönheit, die sie ausstrahlen, begleitet von einer Zurückhaltung, die sich ihres Wertes durchaus bewusst ist.
Der Kundige liest schnell die Anklänge an die Antike, an alte amerikanische, afrikanische und japanische Kulturen in den Techniken des Aufbauens, des Rakubrandes, den archaischen Formen und den polierten, mit terra sigillata überzogenen Oberflächen.
Derartige Synthesen spiegeln die positiven Seiten der globalisierten Welt und lassen es nur selbstverständlich erscheinen, dass man Roland Summers Arbeiten in beinahe allen europäischen Ländern, sowie in Asien, Amerika und Australien in wichtigen Ausstellungen und Wettbewerben und in durchaus guter Gesellschaft wiederfindet.
Diese Nähe zu den großen archaischen Kulturen ist für ihn kein ästhetisches Phänomen, sondern Ausdruck einer Haltung, bzw. Affinität zu einem anderen Wertesystem und zu einer signifikant anderen Kultur der Zeit. Ablesbar ist dies in seinen immer wiederkehrenden Entscheidungen für "zeitraubende" und unökonomische Prozesse wie dem händischen Aufbauen, Polieren und Rakubrennen.
Glaubt man den Physikern, so ist Zeitlichkeit ein von uns geschaffenes und der jeweiligen Gesellschaft angepasstes Phänomen. In den alten Kulturen war Zeit durch den Rhythmus der Natur bestimmt. Die Industriegesellschaft und mehr noch die neoliberale Informationsgesellschaft haben dazu geführt, dass man Zeit über ihren Marktwert definiert. "Zeit ist Geld" war der Wegweiser zu einer strikten Rationalisierung und Beschleunigung auf allen Ebenen des modernen Lebens. Kein Wunder, wenn sich jegliche Form der künstlerischen Arbeit mit keramischen Material in Bedrängnis befindet, denn Keramik hat per se eine langsame Energie und kann von ihrer Natürlichkeit nicht "befreit" werden. Nähe, Einfühlungsvermögen für naturhafte Prozesse und eine vollkommen unzeitgemäße Demut sind Grundvoraussetzung für einen Künstler, der sich zu diesem Material hingezogen fühlt. Nur besonders widerständige Menschen können nach einer modernen künstlerische Ausbildung diese radikale Position einhalten. Roland Summer hat Architektur studiert und wagt es, sich nicht nur mit dem Material Keramik, sondern auch mit der Form des Gefäßes zu beschäftigen.
Was viele Menschen in der Kunst neben dem Anspruch auf Frische und Radikalität suchen sind Kommunikationsfähigkeit und Tiefe. Ich bin überzeugt davon, dass man auch an der Reaktion des zeitgenössischen Publikums die Wirkung eines Werkes und die Relevanz der Aussage ablesen kann. Damit stellt sich die berühmte Frage: Wodurch entsteht Relevanz in einem Werk? Keramiktheorie, die es leider nicht im eigentlichen Sinn des Wortes gibt, schenkt ihre Aufmerksamkeit und Wertzuordnung meist dem Werk allein, nicht dem Prozess oder dem Kontext, wie es die Kunsttheorie oft zu sehr versucht. Genau dort aber liegt die Ursache für etwas, das man als Qualität beschreiben könnte.
Die leichte Schwingung der klaren, strengen Form korrespondiert stark mit der Lebendigkeit der geräucherten terra sigillata. Man fühlt sich angezogen, von etwas Warmem, Verborgenem, Geschichtlichem. Geschichtliches, das einerseits erfahrene Hände (im embryonalen Stadium ist ihre Entwicklung gleich der des Gehirnes), im Zusammenspiel mit einem bedächtigen Prozess und einem Künstler im konzentrierten Tauziehen mit dem naturhaften Prozess des Brennens, geschaffen haben.
Diese Gefäße sind keine Geschöpfe des Neonzeitalters, zu viel Helligkeit irritiert sie. Sie fühlen sich wohl im Halbschatten. Dort ertastet der Blick die Oberfläche, sie gibt nicht wirklich Halt, hat etwas Weiches, Zartes und Schattiges. Ohne Schatten kein räumliches Sehen, keine Tiefe, keine Geschichte. Bei manchen Gefäßen erinnert sie an die zeitlose Patina unbemerkt verflossener Zeit. Sie lässt genau die Ungewissheit zurück, die zur Bildung von Vorstellung unumgänglich ist. Denn Wahrnehmung bedeutet Schöpfung - und Kunst muss für den Betrachter immer eine zu vollendende Aufgabe enthalten.
Wodurch wird diese Wirkung ausgelöst und wie kann man sie deuten? Die polierte terra sigillata und die weiche Zeichnung der nach dem Rakubrand abgesprengten Glasur erzeugen mit ihren Nadelstich- und Craqueléeffekten den Eindruck von Transparenz und Tiefe. Was wir wirklich sehen, ist nur der Abdruck von etwas Geschehenem, dem Abplatzen der verlorenen Glasur. Nicht als Dekor, sondern als Werkzeug wurde sie benutzt. Es ist nicht ein Riss, den man sieht, sondern sein zum Bild gewordener Schatten, eine Erinnerung an das, was wir vor uns haben: Unvergänglichkeit im Kleid der Verletzlichkeit. Es fand eine Berührung statt, die weitererzählt wird. Diese schattenverwandte Zeichnung erinnert ein wenig an Platons Höhlengleichnis, das immer noch und immer wieder den Abdruck eines Wissens von der Nicht-Erkennbarkeit der Dinge hinterlässt. An sich ist nichts zu sehen, wir bekommen nur den Schatten zu Gesicht... wir als konstruierende Wahrnehmungsapparate.(2)
Auf seinen Gefäß-Paaren, die nicht nur über die Beziehung der Objekte zueinander, dem Raum dazwischen, Licht, Schatten und die gegenseitigen Spiegelungen sprechen (ihr Untertitel ist: "Kommunizierende Gefäße"), finden wir zusätzlich vom Künstler angebrachte regelmäßige Strukturen, die oft in einem eigenwilligen Gegensatz zu der von der Natur geschaffenen Zeichnung stehen. Kunst- und Naturschönheit haben zusammengefunden ohne Berührungsängste.
Die Oberfläche kann man nicht Dekor nennen. Sie ist Teil und Wesen der Skulptur. Nicht Design und die Unterwerfung des Materials unter die Anforderungen der Zeit sind Thema, sondern ein Gegenentwurf von Zeitlosigkeit, nicht verblassender Schönheit und Sinnlichkeit, die Ambivalenz zwischen hart und weich, monumental und sensibel, stark und zerbrechlich, begreifbar und wahrnehmbar. Genau dieses Wechselspiel zwischen den Polen ist die Brücke zu dem Punkt, an dem sie uns berühren.
Roland Summer selbst hat viel zu sagen über seine Arbeiten und Erfahrungen, doch er beharrt darauf, dass zuerst das Objekt für sich selbst sprechen muss. Kommunikationsfähigkeit ist eine Grundbedingung, die er somit unbewusst an seine Arbeit stellt. Sie muss in der Lage sein, selbst ihre Geschichte in Bewegung zu setzten, dann hält sie seinem überaus kritischen Auge stand. Denn erst durch diese Fähigkeit gelangen sie ans Ziel - eine Beziehung zum Publikum aufzubauen. Dazu gehört viel Eigenleben und "Eigensinn" des Künstlers, viel Reflexion über die Grundbedingungen der künstlerischen Arbeit und ihrer Vermarktung. Das sind notwendig Grundvoraussetzungen, damit eine Arbeit die Authentizität erwirbt, mit der sie aus sich selbst heraus sprechen kann.