2004-12-05
Sie können Ihre Augen schließe, nicht Ihre Ohren
Einführung zum kärnöl-Kammermusikabend
„Klänge sind nur Schaumblasen auf der Oberfläche der Stille“, sagte John Cage und erzählte auch gerne folgende Geschichte:
Eines Tages, um die Stille zu hören, geht er in den schalltoten Raum der Harvard University in Boston. Er hört zwei Töne. Der Toningenieur erklärt ihm: „Der hohe Ton war Ihr arbeitendes Nervensystem, der tiefe Ihr zirkulierendes Blut.“
„Stille existiert und existiert nicht. Wir hören stets etwas.“, schreibt Klaus Schöning und weist uns darauf hin, dass das Gehörte flüchtig, nur auf der Durchreise ist. Auch meine gesprochenen Worte befinden sich nur auf einer Durchreise in diesem öffentlichen Raum.
Das Ohr, der Raum sind leer und offen. „Wir hören – wenn wir hinhören wollen - stets etwas.“(Klaus Schöning) auch in den seltsamsten Räumen und Situationen. Der Klang, die Musik kennen keine Grenzen. Sie entstehen irgendwo und überall, mieten sich kurzfristig in einfache Kammern ein um später irgendwann in großen Konzertsälen zu glänzen. Im Sinne einer Rehistorisierung werden die Musiker(innen) heute Abend Musik wieder in jenes Ambiente zurückführen, in dem so manche von ihr kreiert zumindest inspiriert wurde. In jene Kammern der Musik, die landläufig als Beisl, Wirtshaus, Cafe umschrieben werden, jene emanzipatorischen Räume mitten im Leben, in denen Kunst und Kultur entsteht.
Sie können Ihre Augen schließe, nicht Ihre Ohren. Noch haben sie die Möglichkeit den Raum zu verlassen, dem zukünftig Gehörten auszuweichen. Sollten Sie bleiben wollen, so darf ich Sie im Namen von kärnöl zu einer musikalischen Klangreise durch die letzen fünf Jahrhunderte mit Sandra Sovdat (Querflöte), Hanae Ishitsubo (Querflöte), Alexandra Petscharnig (Cello) und Willi Bauer (Cello) herzlich willkommen heißen.
Ich ersuche Sie, das Rauchen für die Dauer unserer musikalischen Zeitreise einzustellen und Ihre Ohren wie Odysseus zu verschließen.
Literatur: Klaus Schöning: „Klänge sind nur Schaumblasen auf der Oberfläche der Stille“ aus „Das Buch vom Hören“ Hg.v. R. Kuhn, B. Kreutz, Herder Verlag, 1991